ANALYSE. Durch das Coronavirus sind ÖVP und Grüne gefordert, sich plötzlich auf einem ganz neuen Feld zu behaupten.
Bekämpfung illegale Migration und eines politischen Islam sowie die Durchsetzung von steuerlicher Erleichterungen? Vergessen Sie’s. Klimaschutz? Im Moment kein Thema. Das Coronavirus ist ein Beispiel dafür, wie unvorhersehbare Ereignisse die politische Agenda kippen können. Wie bei Fukushima ist das. Oder bei der Finanzkrise.
In diesem Fall trifft es zunächst einmal ÖVP und Grüne, die die Regierungsverantwortung tragen. Die Volkspartei mag dafür gewählt worden sein, die ordentliche Mitte-Rechts-Politik, die sie mit den Freiheitlichen vor zwei Jahren eingeleitet hat, fortzusetzen. Das betont jedenfalls ihr Chef, Bundeskanzler Sebastian Kurz, immer wieder. Und die Grünen haben natürlich auch Stimmen bekommen, damit sich endlich einmal jemand ernsthaft um den Klimaschutz bemüht in diesem Land.
All das zählt jedoch zumindest für den Moment nicht. Kurz hat nun eine (einzige) neue Aufgabe: An die Stelle einer Wohlfühlpolitik für Österreicher, wie sie in guten Zeiten möglich (aber nicht unbedingt vernünftig) war, sowie einschlägiger Akzente gegen gewisse Migranten muss ernsthaftes Leadership treten, das ziemlich komplex ist.
Wo soll man anfangen: Die Österreicher sollen besorgt (bzw. achtsam) sein, aber nicht panisch werden. Gefragt ist Zusammenhalt über alle gesellschaftlichen Grenzen hinweg und die Vermeidung von Konflikten, wie sie bei solchen Gefährdungslagen drohen können, genauso wie unter Umständen auch schmerzliche Quarantänemaßnahmen. Eine wesentliche Rolle dabei spielt der Regierungschef; er steht quasi im Mittelpunkt des Krisenmanagements, auf ihn sind praktisch alle Augen gerichtet.
Die Grünen sind vor allem mit Werner Kogler, einem Stil und einem Thema in die Regierungszusammenarbeit gezogen. Den sachlichen, unaufgeregten Stil können sie behalten und ausbauen, wie es Rudolf Anschober tut, der nun viel eher Gesundheits- als Sozialminister ist. Das Thema Klimaschutz wird langfristig entscheidend bleiben, tut vorübergehend aber nichts zur Sache.
Umgekehrt hat der Fokus auf das Coronavirus natürlich auch Folgen für Oppositionsparteien. Die SPÖ-Vorsitzende stellt sich – jetzt erst recht – zur Unzeit einer Vertrauensabstimmung, die Partei ist vorerst also eher mit sich selbst beschäftigt. Rassistische Ausfälle aus den Reihen der FPÖ, wie jener gegen „Gebiss-Sanierungen für Häftlinge“ inkl. einschlägiger Illustration, sind unpassender denn je.
Oppositionspolitik darf auch in Ausnahmezeiten nicht ruhen. Vielleicht ist sie gerade dann gefordert, genau hinzuschauen und darauf zu achten, dass Maßnahmen weder unzureichend noch überzogen sind. Aber auch das ist eine Disziplin, die geübt sein will.
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