Systembruch

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ANALYSE. Kickls Vorstellungen von direkter Demokratie dienen dem Demagogen Kickl.

Direkte Demokratie 2.0 also: Hatten Freiheitliche in Programmen zu vergangenen Nationalratswahlen gefordert, dass erfolgreiche Volksbegehren, die vom Nationalrat nicht umgesetzt werden, zu einer Volksabstimmung führen müssen, geht die Partei unter Führung von Herbert Kickl nun weit darüber hinaus. Zunächst: Schon bei rund 250.000 Unterschriften für ein Volksbegehren soll in weiterer Folge eine Volksabstimmung möglich werden. Das ist eine niedrige Hürde. Vor wenigen Jahren noch sprachen er und seinesgleichen von rund 600.000. Im Übrigen sollen ein Drittel der Nationalratsabgeordneten oder gerade einmal 100.000 Wahlberechtigte eine Volksbefragung „zu einem bestimmten Thema“ durchsetzen können. Und außerdem: „Dem Volk sollte die Möglichkeit eingeräumt werden, eine unfähige Regierung oder unfähige Regierungsmitglieder abzuberufen.“ Dabei würde es sich um „einen Misstrauensantrag des Volkes“ handeln.

Natürlich: „Direkte Demokratie“ klingt immer gut. In einem der älteren Programme der FPÖ wird die Schweiz als Vorbild bezeichnet. Allein: Dort gibt es eine Kultur, die notwendigen Voraussetzungen viel eher entspricht. Bürgerinnen und Bürger begreifen sich als Teil des Staates. Sie wissen sehr gut, was zum Beispiel mit einer Änderung von Steuersätzen einhergeht – an Vor- und an Nachteilen. Vor Abstimmungen werden sie in einem amtlichen Büchlein (!) über Problemstellungen und Sichtweisen informiert. Abgesehen davon sind sie mit keinen so großen Demagogen konfrontiert, wie Kickl einer ist. Sondern mit Männern und Frauen, die es nie wagen würden, alle Andersdenkenden als „Volksverräter“ zu bezeichnen.

Auch repräsentative Demokratie erfordert eine Kultur, die zu oft unterentwickelt ist in Österreich. Immerhin aber reduziert sie in jedem Fall den Einfluss von Leuten, die dem Volk etwas vormachen, es gerne auch aufhetzen und verführen: Eine parlamentarische Mehrheit kann bis zu fünf Jahre durcharbeiten. Kann es sich leisten, gewissen Ziele zwischendurch auch einmal mit unpopulären Maßnahmen zu entsprechen. Weiß, dass es auf die Bilanz am Ende ankommt.

Gerade in Krisen und bei Politikern wie Kickl ist das wichtig: ÖVP und Grüne werden bei der Nationalratswahl am 29. Oktober als Koalition ohnehin abgewählt werden. Zumal vor allem die türkise Bilanz objektiv gesehen klar negativ ist: Sebastian Kurz hat furchtbar viel versprochen, gebrochen und dann gehen müssen. Diese Geschichte findet nun also einen Abschluss.

Man kann sich ausmalen, wie die vergangenen Jahre verlaufen wären, wenn es die direktdemokratischen Instrumente gegeben hätte, die sich Kickl so vorstellt: Er hätte so regelmäßig wie auf parlamentarischer Ebene ein breites Misstrauensvotum gegen irgendein Regierungsmitglied angestrebt. Er hätte wohl Abstimmungen gegen die Teuerung, gegen Sanktionen gegen Putin und gegen Asylwerber initiiert bzw. initiieren lassen. Auf dass es zu einer Mobilisierung in seinem Sinne kommt. Die Rahmenbedingungen wären günstig gewesen: Der Prozentsatz jener, die finden, dass Karl Nehammer, Werner Kogler und andere Regierungsmitlgieder „unfähig“ sind, ist hoch. Da hätte Kickl leichtes Spiel gehabt.

Das Volk ist der Souverän. Da tun sich in einer Direkten Demokratie 2.0 viele Möglichkeiten auf, wenn man es darauf anlegt. Da kann man auch fundamentale Verfassungsäderungen anstreben. Wo herkömmliche Parteien und Politiker ohnehin schon unten durch sind, bieten sich Initiativen für eine Volkskanzler-Republik an, eventuell auch mit Mehrheitswahlrecht und ohne einen Bundespräsidenten.

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