Sturmfest!?

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ANALYSE. Was sich die Regierung von Kanzler Stocker vorgenommen hat. Und was ist.

Dass die Bundesregierung 100 Tage im Amt ist, ist uninteressant geworden. Nach dem Ministerrat an diesem Mittwoch gibt es keine Medienstatements und auch kein Pressefoyer. Auch für die Opposition ist alles anders, Herbert Kickl lässt den FPÖ-Parteitag, der für diesen Samstag in Kitzbühel geplant war, absagen; er soll nun erst im Herbst stattfinden. Nach dem tödlichen Amoklauf in Graz spricht Bundeskanzler Christian Stocker (ÖVP) von einer „nationalen Tragödie“ und ruft eine dreitägige Staatstrauer aus. Die Gesellschaft müsse gerade jetzt zusammenstehen.

Es ist ein Schockzustand, auf den Fragen folgen werden, wie das alles hat passieren können und was sich ändern muss. Dass sich politisch Wesentliches ändern wird, ist jedoch nicht zu erwarten. Stocker wird weiter an seinem Ziel arbeiten müssen, dass seine Regierung die Demokratie sturmfest macht, wie der „Standard“ in einer Reportage schreibt: Niemandem solle es möglich sein, dass er „durch die Institutionen dieser Republik geht und die Menschen vor die Türe setzt oder zusperrt“.

Dieses Sturmfestmachen ist in jedem Fall nötig. Es ist nicht mehr so, dass ein Viertel oder gar ein Drittel der Wähler ein Problem damit haben, dass in der Politik zu viel gestritten und zu wenig zusammengestanden wird. Das war gestern. Heute haben viele von ihnen nur noch Verachtung für Politik übrig und fallen daher auf einen Herbert Kickl herein, der – sie bestätigend – von „Volksverrätern“ spricht und damit Schwarze, Rote, Pinke sowie Grüne meint. Auch daher ist sein „Angebot“, „Volkskanzler“ zu werden, eine gefährliche Drohung: Sie steht dafür, dass er zum Sturm auf Demokratie und Rechtsstaat mit allem, was dazugehört, blasen möchte.

Dass die Regierung Stocker diese sturmfest macht, ist jedoch neu. Eine wesentliche Voraussetzung dafür wäre zum Beispiel, bei Postenbesetzungen neue Maßstäbe zu setzen. Und zwar ganz besonders bei jenen, die Bereiche betreffen, in denen Kickl sogar ausdrücklich ankündigt, zu demolieren, was ist.

Dass ÖVP, SPÖ und Neos „Kein Weiter wie bisher“ betreiben wollen, ist schön und gut. Dass die beiden ehemaligen Großparteien nun transparent machen, wer wo ein De-facto-Vorschlagsrecht hat, ist interessant, aber belanglos. Damit verpflichten sie sich ja zu nichts: Es kommt zum Beispiel nicht zur öffentlichen Anhörung von Kandidatinnen und Kandidaten, es kommt zu keinem ernsthaften Abklopfen von Kompetenzen.

Ja, die beiden betreiben ein „Weiter wie bisher“, das einen sprachlos macht und Kickl nur gefallen kann. Beispiel ORF-Publikumsrat: Laut Gesetz dürfen diesem keine Parteifunktionäre und auch keine Mandatare etwa angehören. Was passiert: Zunächst bestellt wird etwa der stellvertretende Landesobmann der steirischen Volkspartei, Andreas Herz. Und mit Matthias Hauer ein sozialdemokratischer Ex-Gemeinderat. Und mit Beatrix Karl die Vizechefin des steirischen ÖVP-Arbeitnehmerflügels ÖAAB. Und mit Gertrude Aubauer die stellvertretende Präsidentin des schwarzen Seniorenbundes.

Wie wenig ernst hier gesetzliche Bestimmungen auch von Betroffenen selbst genommen wurden, zeigen Ausführungen des Rundfunkjuristen Hans Peter Lehofer. In seinem Blog schreibt er etwa: „Das ist schon bemerkenswert: obwohl über die Fälle Andreas Herz und Matthias Hauer in den Medien berichtet wurde, ist es Beatrix Karl und Gertrude Aubauer offenbar nicht in den Sinn gekommen, über ihre eigenen Funktionen nachzudenken und sich noch rechtzeitig vor der Konstituierung des Publikumsrates zurückzuziehen. Gertrude Aubauer wurde vom Publikumsrat sogar in den Stiftungsrat gewählt, dem sie freilich genausowenig angehören darf.“

Und weiter: „Man könnte sich zB schon fragen, weshalb Beatrix Karl – sie ist immerhin Juristin, war (außerordentliche) Universitätsprofessorin, Bundesministerin für Wissenschaft und Forschung, Bundesministerin für Justiz und Abgeordnete zum österreichischen Nationalrat – nichts dabei gefunden hat, die vor der Bestellung geforderte Unvereinbarkeitserklärung abzugeben (mit der erklärt wird, dass keine Ausschlussgründe nach § 28 Abs. 2 ORF-Gesetz vorliegen). War es ihr einfach nicht bewusst, dass sie eine leitende Funktion in einer Teilorganisation der Volkspartei bekleidet? Oder findet sie vielleicht, dass Obmann-Stellvertreterin des Steirischen ÖABB nur ein dekoratives Amt ist, und dass ihr in dieser Funktion kein Einfluss auf Entscheidungen dieser Parteiorganisation zukommt?“

Freuen kann Kickl das alles, weil hier Maßstäbe zu seinen Gunsten gesetzt werden. Das ist aufgelegt für ihn. Sollte er jemals zu bestimmendem Einfluss kommen, was aufgrund der freiheitlichen Umfragewerte (über 30 Prozent) und einer grundsätzlichen Bereitschaft der ÖVP zu Blau-Schwarz nie ganz ausgeschlossen werden kann, hat er die Wahl. Er kann „Weiter wie bisher“ machen und Günstlinge mit wichtigen Funktionen betrauen. Oder er kann mit dem Hinweis, dass parteipolitisch motivierter Machtmissbrauch betrieben worden sei, den ORF zerschlagen. Er kann also, Zitat Stocker laut „Standard“ sinngemäß, durch die Institutionen dieser Republik gehen und die Menschen vor die Türe setzen oder zusperren.

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