ANALYSE. Der ÖVP-Chef nützt die Gelegenheit nicht, zu einem umfassenden Neustart zu schreiten. Damit riskiert er viel.
Es sei nicht richtig, dass die ÖVP oder Magnus Brunner als Finanzminister das Land an die Wand gefahren hätten, empörte sich der Bundesparteichef, Kanzler Christian Stocker jüngst. Dass es budgetär kam, wie es ist, ist demnach einzig und allein schuld von Wirtschaftsforschern, die mit ihren Prognosen daneben gelegen sind.
Dass das so nicht korrekt ist, gibt ÖVP-Wirtschaftsminister Wolfgang Hattmansdorfer – unfreiwillig, aber doch – zu: Es müsse Schluss sein mit Förderungen nach dem Gießkannenprinzip, sagt er. Ebensolche haben demnach zur Misere beigetragen. Hattmansdorfer meint vor allem aber grüne Maßnahmen wie die Subventionierung von PV-Anlagen. Womit er letzten Endes den Eindruck vermittelt, Werner Kogler und Co. hätten den ganzen Schlamassel zu verantworten. Nicht die Volkspartei.
In Wirklichkeit hat gerade sie gerne auch „Koste es, was es wolle“-Politik betrieben, hat die kalte Progression abgeschafft, ohne gleichzeitig notwendige Strukturreformen einzuleiten, um die Ausgaben zu bremsen. In Wirklichkeit steht sie sich selbst im Weg, ob durch eigene Landeshauptleute in Bezug auf eine Staatsreform oder die Angst vor weiteren Stimmenverlusten in Bezug auf eine Pensionsreform.
Es ist bezeichnend: Wenn sich Stocker darauf konzentriert, Magnus Brunner auch Monate nach dessen Ausscheiden aus dem Finanzministerium als guten Ressortchef darzustellen, dann bleibt er in einer belastenden Vergangenheit hängen, die ihm einen umfassenden Neustart verunmöglicht.
Neu ist der Stil. Stocker, der als Parteisekretär hart im Geben war, tritt als Kanzler staatstragend, zurückhaltend, verantwortungsbewusst auf. Er bemüht sich, den Eindruck zu vermitteln, für Land und Leute „das Richtige“ zu wollen.
Darüber hinaus notwendig wären aber auch Inhalte. Sie fehlen. Wichtig wäre darüber hinaus, dass er mit gewissen Dingen abschließt. Zum Beispiel eben mit bisheriger Budgetpolitik, die zu unnötig hohen Defiziten, einer Rekord-Steuer-und-Abgabenquote sowie jetzt schmerzlichen Einschnitten geführt hat. Stocker muss nicht sagen, dass Brunner einen schlechten Job gemacht habe. Er muss schlicht andere Ansätze zulassen.
Sonst fährt er die ÖVP auch noch gegen die Wand: Ihr Unvermögen, ausgabenseitige Strukturreformen durchzuführen, hat in Verbindung mit ihrer Weigerung, zu einer steuerlichen Umverteilung zu schreiten, dazu beigetragen, dass die Steuerlast vor allem auf Einkommen liegt; und zwar in einem Ausmaß, das kaum noch steigerungsfähig ist.
Oder Stocker lässt sich durch die ÖVP gegen die Wand fahren: Die Partei wird in der Korruptionsaffäre, die im Herbst 2021 zum Rücktritt von Sebastian Kurz geführt hat, noch immer als Beschuldigte geführt. Das ist besonderes für einen Obmann riskant, der sich nicht einmal die Mühe macht, ein sichtbares Zeichen der Veränderung zu setzen und Türkis durch Schwarz zu ersetzen. Womit die belastete ÖVP seine ÖVP bleibt.
Oder die Causa Pilnacek: Das unsägliche FPÖ-Gerede von einem „tiefen Staat“, mit dem sich Kickl und Co. einmal mehr als Gefährten von Trump, AfD und Orban zeigen, ist das eine. Dass der Fall, den sie zum Gegenstand eines parlamentarischen Untersuchungsausschusses machen, brisant ist, das andere. Es reicht, was Pilnacek selbst vor seinem Tod gesagt hat und aufgezeichnet worden ist: Die Volkspartei habe mehrfach versucht, über ihn Ermittlungen abzudrehen bzw. Hausdurchsuchungen zu verhindern. Das kann man nicht einfach so stehen lassen. Es hat das Potenzial, die ÖVP weiter runterzuziehen. Umso bemerkenswerter ist, dass sich Stocker so gar nicht sichtbar um eine andere Volkspartei bemüht.