ANALYSE. Man sollte Kurz und Strache nicht unterschätzen. Zumal sie sich eine bessere Ausgangslage kaum wünschen könnten.
Sebastian Kurz (ÖVP) und Heinz-Christian Strache (FPÖ), der eine sehr wahrscheinlich Kanzler, der andere Vize in spe, haben Glück: Zumindest auf parlamentarischer Ebene sind ihre größten Gegner entweder verschwunden (die Grünen) oder mit sich selbst beschäftigt und im Übrigen mit einem gewissen Glaubwürdigkeitsproblem behaftet (beides trifft auf die SPÖ zu). Und überhaupt: Die öffentliche Meinung ist ebenso in ihrem Sinne wie die Budgetlage. Womit sie zunächst einmal nur gewinnen können.
Erstens. Dass ÖVP und FPÖ bei der Nationalratswahl an die 60 Prozent herankamen, ist auf die Themenlage zurückzuführen. „Asyl und Integration“, „Sozialleistungen“ und „Sicherheit“ waren laut SORA-Befragung nach Einschätzung der Wähler die „Top 3“. Hier die Erwartungshaltung einer Mehrheit zu erfüllen, wird nicht allzu schwer. Und das hat nicht nur damit zu tun, dass ohnehin schon immer weniger Flüchtlinge nach Österreich kommen.
Heute ist es (gefühlt) Allgemeingut, dass die „Willkommenskultur“ 2015 ein Fehler war.
Zweitens. Es hat vielmehr mit einem Versagen der Gegenöffentlichkeit zu tun. Heute ist es zum Beispiel (gefühlt) Allgemeingut, dass die „Willkommenskultur“ 2015 ein Fehler war. Nicht einmal die Grünen, denen man das auf politischer Ebene am ehesten zutrauen könnte, haben sich im Wahlkampf getraut, dem zu widersprechen. Was indirekt auf eine Bestätigung der schwarz-blauen Problemdarstellung hinausläuft.
Drittens. Auch die SPÖ hat zum Volksempfinden beigetragen, dass vom Islam eher etwas Bedrohliches ausgeht. Stichwort Burkaverbot. Soll heißen: ÖVP und FPÖ finden eine Stimmungslage vor, die ihren Vorstellungen entspricht.
Viertens: Schwarz-Blau stößt auf eine sehr komfortable Budgetlage. Sie würde es sogar ermöglichen, zunächst einmal nur Entlastungen vorzunehmen. Im Hinblick auf die längerfristigen Entwicklungen wäre das zwar verantwortungslos, kurzfristig aber machbar.
Ein Sparpaket ist vorerst nicht zwingend. Damit fällt das größte Gefahrenpotenzial für sie weg.
Fünftens: Ein Sparpaket ist vorerst eben nicht zwingend. Damit fällt auch das größte Gefahrenpotenzial für Kurz und Strache weg: Pensionskürzungen, Gebührenerhöhungen etc. würden wohl die größten Widerstände gegen sie auslösen. Siehe 2000er Jahre.
Sechstens: Um die demokratiepolitische Kultur ist es in Österreich nur mäßig bestellt. Nicht das Parlament steht im Mittelpunkt der Entscheidungsprozesse; es sind vielmehr die Regierung bzw. die Parteien, die sie bilden. Das macht die Verteidigung der ohnehin schon vernachlässigten repräsentativen Demokratie zu einer besonderen Herausforderung bzw. erleichtert einen allfälligen Systemumbau hin zu mehr direkter Demokratie bzw. „Volksgesetzgebung“ (FPÖ-Plan).
Von wegen Umfärbungen: Im Grunde genommen würden sie damit nur eine unsägliche Praxis fortsetzen.
Siebtens: In Österreich ist man es gewohnt, dass alle wichtigen Personalentscheidungen nach parteipolitischen Gesichtspunkten getroffen werden. Vom Verfassungsgerichtshof über den Verbund bis zum ORF. Und das bedeutet, dass man ÖVP und FPÖ zwar allenfalls vorwerfen kann (und muss), die ganzen Stellen umzufärben. Im Grunde genommen würden sie damit aber nur eine unsägliche Praxis fortsetzen.
Achtens: Medienpolitik wäre ein entscheidender Hebel, die demokratische Kultur zu fördern. Die dazu nötige Aufgeklärtheit haben jedoch auch Sozialdemokraten in der Vergangenheit vermissen lassen. Beispiel Inserate. Dass ihr Volumen um ein Vielfaches größer ist als die gesetzliche Presseförderung, die eine Qualitätsförderung sein sollte, ist bezeichnend; es geht eher um die Pflege einer wohlwollenden Berichterstattung.
Christian Kern muss erst eine Bundesparteiorganisation aufbauen und Landtagswahlen überstehen.
Neuntens: Kurz wird nicht zuletzt wohl weiter auch an seinem Alter gemessen werden und Strache an seinen ehemaligen Parteifreuden, die mit Schwarz-Blau I gescheitert sind. Damit sollten beide eher überraschen, um nicht zu sagen beeindrucken können.
Zehntens: Die SPÖ, die neben den Neos als Oppositionspartei gefordert wäre, ist auf unabsehbare Zeit mit sich selbst beschäftigt: Christian Kern muss erst eine Bundesparteiorganisation aufbauen und mit seinen Parteifreunden die Landtagswahlen in Niederösterreich, Kärnten, Salzburg und Tirol überstehen. Die Wiener müssen wiederum eine Spaltung in der Frage der Michael-Häupl-Nachfolge verhindern und die Gewerkschafter angesichts einer künftig wohl geschwächten Sozialpartnerschaft eine neue Rolle für sich definieren.
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