ANALYSE. Türkis-Grün könnte kaum gut ausgehen für die Partei. Infolge des VfGH-Urteils zur Mindestsicherung wird das deutlich.
Hin und wieder wird das, was man sich denkt, von der Wirklichkeit überholt. Gestern zum Beispiel stand an dieser Stelle, dass ein türkis-grünes Koalitionsprogramm gar nicht detailliert genug sein kann; und zwar im Sinne der Grünen, damit sie glauben, zu wissen, worauf sie sich in den folgenden fünf Jahren einlassen bei der ÖVP. Praktisch zeitgleich wurde das jüngste VfGH-Erkenntnis bekannt: Die Kürzung der Mindestsicherung ist praktisch in allen Punkten verfassungswidrig, die gegen Ausländer gerichtet sind.
„Okay“, könnten die Grünen jetzt sagen, „das passt eh“: Wäre das Erkenntnis jedoch nur um ein paar Wochen später, nach allfälliger Fixierung einer Koalition bekannt geworden und hätte es auch nur einen kleinen Korrekturbedarf ergeben, ihr Problem wäre unendlich groß gewesen: Zur Mindestsicherung bzw. zur Sozialhilfe (ab 2020) wäre nichts Entsprechendes vereinbart worden. Sprich: Die Grünen hätten sich mit der ÖVP auf eine Lösung verständigen müssen. Und das wäre nicht gut ausgegangen für sie.
Wie die ÖVP die Sache sieht, hat ihr Klubobmann August Wöginger parallel zu den laufenden Koalitionsverhandlungen sehr unmissverständlich erklärt: Das VfGH-Erkenntnis werde man zur Kenntnis nehmen, auch wenn es „vollkommen unseren politischen Überzeugungen widerspricht“.
„Gust“ Wöginger kann man für diese Offenbarung dankbar sein. Wie auch immer man zu ihm steht: Mitte-Rechts-Gerichtete dürfen beruhigt zur Kenntnis nehmen, dass der ordentliche Kurs, von dem Sebastian Kurz immer wieder spricht, nicht einer möglichen Zusammenarbeit mit den Grünen geopfert wird. Grüne bzw. Mitte-Links-Gerichtete wissen wiederum, woran sie sind: Sie dürfen sich beugen oder verdrücken.
Aber seien wir nicht naiv: Parteichef Werner Kogler kann jetzt nicht hergehen und die Koalitionsverhandlungen mit der Begründung abbrechen, dass ihm diese Signale nicht gefallen. Auch wenn sie sich im Zusammenhang mit der Casinos oder ganz anderen Affären sowie weiteren Höchstgerichtsurteilen noch in unabsehbarer Art und Weise häufen könnten. Ein Abbruch wäre Kurz möglicherweise sogar recht, könnte er doch behaupten, dass Kogler die Verhandlungen scheitern ließ.
Es läuft vielmehr auf ein dramatisches Verhandlungsfinale hinaus: Die Grünen werden eher mehr verlangen und zu einer Forderung zurückkehren, die der Innsbrucker Bürgermeister Georg Willi bereits formuliert hat. Ja, wenn sie all die Risiken minimieren wollen, dann werden sie nicht umhinkommen, den Finanzminister für sich zu beanspruchen; einzig über dieses Schlüsselressort lässt sich in fast allen Streitfragen echtes Gewicht aufbauen. Das würde im schlimmsten Fall dazu führen, dass Sebastian Kurz die Verhandlungen platzen lässt. Doch das würden die Grünen wohl eher überleben als eine Koalition unter den gegebenen Umständen.
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