ANALYSE. Zusammen mit der ÖVP erreicht die FPÖ allenfalls nur noch eine knappe Mehrheit. Für Kickl ist das letzten Endes eher kein Problem.
61 Prozent der Wienerinnen und Wiener finden laut einer „Standard“-Umfrage, dass sich die Bundeshauptstadt zurzeit in die falsche Richtung entwickle. Die SPÖ bekomme das zu spüren. Mit 36 Prozent liege sie um über fünf Prozentpunkte unter dem Stimmenanteil, den sie bei der Gemeinderatswahl vor vier Jahren erreicht habe. Bemerkenswert ist jedoch, wer davon profitiert. These: Es ist vor allem die Bierpartei, die um über fünf Prozentpunkte auf sieben Prozent zulegen würde.
Freiheitliche sind es nur auf den ersten Blick: Sie würden zwar um 12 Prozentpunkte auf 19 Prozent gewinnen. Dabei muss jedoch berücksichtigt werden, dass sie vor vier Jahren um ganze 24 Prozentpunkte abgestürzt sind. Dass sie das bisher also quasi nur zur Hälfte wettmachen konnten.
Außerdem würden ÖVP und FPÖ in der Bundeshauptstadt zusammen nur auf 34 Prozent kommen. Im langjährigen Vergleich ist das eher ein mäßiges Niveau. Das leitet über zur Bundesebene. Hier halten die beiden Parteien zusammen eher nur knapp eine Mehrheit von über 50 Prozent. 2017 sind sie bei der Nationalratswahl auf 57,5, 2019 auf 53,7 Prozent gekommen.
Schwacher Trost für die Parteien rechts der Mitte: Parteien links der Mitte haben eher noch mehr zu kämpfen. Aber was bringt ihnen das schon? Erster Gedanke: Bleiben sie am Ende unter 50 Prozent der Mandate können sie nicht einmal eine Minderheitsregierung bilden, weil sie vom ersten Tag an eine Mehrheit ausdrücklich gegen sich hätten.
Vielleicht aber gehört derlei zu dem, was Herbert Kickl motiviert, sich gegenüber seiner Anhängerschaft als „Volkskanzler“ zu präsentieren: Es ist unter anderem ein Täuschungsmanöver. Volkskanzler steht für den Einen, der vermeintlich das einzig Wahre durchsetzt, der agiert als habe er 100 Prozent hinter sich. Es steht für maximal mögliche Legitimation. Kickl will sagen, dass er stärker sei als er ist.
Nebenbei versucht er natürlich dem Phänomen entgegenzuwirken, dass andere Parteien bisher noch mit der „Warnung“ vor einem freiheitlichen Kanzler punkten konnten. Bei Jörg Haider und Heinz-Christian Strache war das wirkungsvoll. Als Kanzler waren die beiden weniger erwünscht. Kickl vermittelt nun die Botschaft: „Ich wäre aber ein Regierungschef, der allein für Euch da ist.“ Das scheint ihm zu nützen. Die FPÖ liegt jedenfalls ziemlich konstant vorne, hat bisher nicht groß verloren, während ÖVP und SPÖ nicht groß punkteten, obwohl beide – unterschiedlich, aber doch – vor Kickl warnen; obwohl beide darauf setzen, von den vielen, die Kickl ablehnen, gewählt zu werden; nicht weil sie gewollt werden, sondern weil Kickl als Kanzler verhindert werden soll.
Im Übrigen erhebt der FPÖ-Chef den Anspruch, den Regierungsbildungsauftrag zu erhalten, wenn seine Partei Erste wird. Je mehr man darüber nachdenkt, desto klarer wird: Selbst wenn er sich dann schwertun würde, ja keine Regierung mit tragfähiger Mehrheit im Hohen Haus zusammenbringen würde, das Ganze würde letzten Endes nur noch gefährlicher werden.
Es ist absehbar, wie Kickl das öffentlich vermitteln würde. Er würde nicht sagen: „So ist Demokratie, ich habe mich bemüht, aber nicht durchgesetzt.“ Er würde seine Erzählung verstärken, dass er als Erster Anspruch auf die Führung habe und die anderen Parteien dem gefälligst zu entsprechen hätten. Andere Parteien, die zusammen über eine Mehrheit verfügen und einen gemeinsamen, ernsthaften Plan für Österreich haben, könnten dem überzeugend entgegentreten. Ein solches Bündnis gibt es jedoch nicht. Da kann Kickl darauf setzen, dass sich letzten Endes ein größerer Teil der öffentlichen Meinung zu seinen Gunsten verändert. Motto: „Er ist Erster, das muss man akzeptieren.“