Schüssels Welt

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ANALYSE. Mit seinen Aussagen zum 80er tut sich der Altkanzler nichts Gutes: Es zeigt sich, dass er auch für viele Probleme von heute steht.

Das Bild hat sich eingebrannt: Der russische Präsident Wladimir Putin und der damalige österreichische Kanzler Wolfgang Schüssel (ÖVP) freundlich winkend im Sessellift. 2001 war das, anlässlich einer alpinen Skiweltmeisterschaft in St. Anton. Kann man Schüssel einen Vorwurf daraus machen? Vorsicht. Ebensolche Vorsicht könnte man aber auch von ihm erwarten. Doch nichts dergleichen bietet er: In einem „Presse“-Interview sagt er, Putin sei damals „ein ganz anderer Mensch“ gewesen: „Wir führten intensive Gespräche – auf Deutsch, das er hervorragend beherrschte. Putin wollte Russland damals glaubhaft nach Europa führen. Russland hat sich unter Putin zunächst enorm entwickelt.“ Völlig verändert hat er sich laut Schüssel erst nach seiner eigenen Zeit in der Politik.

Das kann sein. Irritierend ist nur, wie sicher er sich dessen ist. Dass er nicht einmal sagt, er frage sich auch oft, ob er sich in Putin getäuscht habe, und wie ihm das allenfalls habe passieren können.

Wolfgang Schüssel ist gerade 80 Jahre alt geworden und hat Interviews gegeben. Viele. Unterm Strich zeigt sich, dass er auch für viele Probleme von heute steht.

Nein, nicht die Pensionsfinanzierung. Einschnitte bei der Altersversorgung haben dem ÖVP-Mann große Kritik eingetragen, zumindest budgetäre Schwierigkeiten wären ohne sie aber wohl noch größer als sie es ohnehin schon sind.

Es geht um andere Dinge: Schüssel war bereit, die Neutralität aufzugeben und der Nato beizutreten. Ganz unabhängig vom Inhalt: Durch das „Wie“ hat er das Thema auf Jahre hinaus erledigt. „Die alten Schablonen – Lipizzaner, Mozartkugeln oder Neutralität – greifen in der komplexen Wirklichkeit des 21. Jahrhunderts nicht mehr“, sagte er bei einem Sonderministerrat anlässlich eines Nationalfeiertags. These: Solche Dinge haben zu seiner Abwahl 2006 beigetragen. Es ist ein Lehrbuchbeispiel dafür, wie man ein politisches Ziel nicht erreichen kann; wie man Leute, die an etwas hängen (der Neutralität) unter Garantie nicht davon abbringt, ganz im Gegenteil.

Wolfgang Schüssel galt als Schweigekanzler. Er hat gerne nichts gesagt. Vor allem zu Konflikten, Skandalen und Affären. Im Ohr steckt noch immer dieses langgezogene „Nein“ von ihm, das er mit betonter Gelassenheit aussprach, wenn es darum ging, ob da etwas sei.

Später wurde klar, dass es in seiner Kanzlerschaft veritable Korruptionsskandale gegeben hat. Ob Eurofighter oder Buwog. Der Jesuitenpater Georg Sporschill hat ihn vor fünf Jahren in der ORF-Sendung von Babara Stöckl darauf angesprochen: Habe er das alles nicht wahrgenommen, weil er selbst wie ein Heiliger gelebt hat? Sprich: Hatte er in seiner Sphäre keine Ahnung davon, wie verdorben, einzelne Menschen sein können? Das hat was.

Zumal er damals Kanzler war, würde das nichts besser machen. Es ist aber ein wichtiger Punkt. Abgesehen davon lässt es tief blicken, dass Schüssel hier keine Bereitschaft zeigt, klüger zu werden. Vom „Standard“ wurde er vor wenigen Tagen gefragt, ob ihm Karl-Heinz Grasser leidtue. Antwort: „Natürlich. Da wurde eine Existenz vernichtet! Das werde ich doch noch sagen dürfen! Und ich verstehe noch immer nicht, was er in dieser Buwog-Causa getan haben soll.“

Wolfgang Schüssel spricht von Karl-Heinz Grasser und dem Buwog-Skandal, wohlgemerkt. Die bürgerliche „Kleine Zeitung“ hätte ihm dazu Aufklärendes zu bieten: „Ein Konsortium rund um die Immofinanz hatte 2004 den Zuschlag bei der Privatisierung der Bundeswohnungen (Buwog) erhalten, allerdings nicht in einem fairen Bieterverfahren, sondern durch einen Tipp eines Insiders. Zuvor hatte ein anderes Konsortium 960 Millionen geboten, die Immofinanz besserte in einer zweiten Runde nach – auf 961,2 Millionen. Die Gerichte sehen es als erwiesen an, dass Grasser nicht nur Insiderwissen preisgegeben, sondern selbst auch mitgeschnitten hatte. Ein starkes Stück, kein Kavaliersdelikt. (…)

Dass der einstige Sunnyboy der Republik rund 15 Jahre (!) im Visier der Justiz stand, ehe er hinter Gitter musste, ist kein Ruhmesblatt für einen Rechtsstaat, selbst wenn Grasser durch x-Eingaben das Verfahren selbst in die Länge gezogen hat. Dass der Republik durch den Gesamtverkauf der 60.000 Wohnungen hunderte Millionen, wenn nicht sogar eine Milliarde Euro (!) entgangen sein dürfte, weil durch den Einzelverkauf der Wohnungen ein höherer Preis hätte erzielt werden können, ist die andere Seite der Medaille.“

Oder Wolfgang Schüssel über Sebastian Kurz (in der „Kleinen Zeitung“): „Es ist ein Fehler, wenn man versucht, unliebsame Politiker juristisch fertig machen zu wollen. Das halte ich für ein echtes Problem. Die Auseinandersetzung gehört ins Parlament und nicht vor die Gerichte, wie das jetzt bei Sebastian Kurz der Fall ist. Die Politik sollte sich mehr darauf konzentrieren, das Land weiterzubringen als darauf, was man alles schlecht reden kann.“

Das ist vielleicht sogar die stärkste Aussage: Bei Kurz ging es um den Vorwurf der Falschaussage vor einem parlamentarischen U-Ausschuss, der in erster Instanz als bestätigt angesehen, von dem er letzten Endes aber freigesprochen wurde, was zählt. Hier ging es darum, klarzustellen, dass vor einem solchen Ausschuss die Wahrheit zu sagen ist. Das ist notwendig und gut so. Es ging nicht um eine billige Auseinandersetzung und schon gar nicht darum, das Land schlechtzureden.

Auch in der Inseratenaffäre, in der sich Kurz noch zu verantworten hat, geht es weder um das eine noch das andere (billige Auseinandersetzung, Schlechtreden), sondern um mutmaßliche Korruption. Schüssel redet das jedoch nicht einmal klein, er wischt es vom Tisch: Genau dieser Zugang ist ein Problem, das in Österreich zu verbreitet ist – es steht konsequenter Korruptionsbekämpfung im Weg.

Und wenn schon von Konsequenz die Rede ist: Immer wieder erteilt Schüssel auch einer Brandmauer gegen rechts eine Absage. „Ich halte nichts von Ausschließeritis“, meint er in einer für ihn typischen Art.

Er müsste es nicht betonen, hat er 2000 doch die Jörg-Haider-FPÖ in die Regierung geholt und auch den Weg von Sebastian Kurz in den Rechtspopulismus unterstützt, der nicht nur zu Schwarz-Blau, sondern unter anderem auch zu einem Innenminister Herbert Kickl geführt hat.

Von daher kann er nicht für eine Brandmauer sein, klar. Der Punkt ist jedoch, dass diese Absage als Vorwand dient, gegenüber Rechten wie Kickl nicht präzise darlegen zu müssen, warum eine Zusammenarbeit aus prinzipiellen Gründen undenkbar sein könnte. Zum Beispiel aufgrund ihres Zugangs zu Europa oder auch Demokratie und Rechtsstaatlichkeit.

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