ANALYSE. Kickl zeigt Nerven und macht Fehler. Deutlich wie nie zeigt sich: Der Mann hat die FPÖ eher nur dank der Schwächen seiner Mitbewerber auf Platz eins führen können.
Das Jahr ist noch jung, aber es hat schon drei Wahlergebnisse gegeben, die so gar nicht einer allgemeinen Erwartungshaltung entsprachen, die wiederum auf die Annahme zurückzuführen ist, dass Freiheitliche momentan nur triumphieren können: Bei der Landtagswahl im Burgenland haben sie zwar groß zugelegt, aber Hans Peter Doskozils SPÖ hat die absolute Mehrheit nur knapp verfehlt. In Linz ist ihr Kandidat bei der Bürgermeister-Stichwahl untergangen. Und bei den niederösterreichischen Gemeinderatswahlen haben sie zwar stark gewonnen, hat sich die ÖVP aber überraschend deutlich als „Bürgermeister-Partei“ halten können.
Es ist seltsam, dass das kaum wahrgenommen wird. Immerhin wird hier ein Widerspruch deutlich: Herbert Kickl tut gerne so, als wolle „die Bevölkerung“ nun absolute Macht für ihn und seine Partei. Das ist jedoch daneben: In Wirklichkeit gibt es eine Stimmung im Land, von der die FPÖ profitiert. Einmal mehr, einmal weniger. Abgesehen davon, dass sie nie über eine allenfalls relative Mehrheit hinwegkommt, scheint ihr Erfolg vor allem aber vom Zustand der Mitbewerber abzuhängen.
Im Burgenland, in Linz und in Niederösterreich zeigt sich, dass sie trotz aller günstigen Umstände weniger als ein Viertel der Wähler anspricht. Auf Bundesebene waren es mit knapp 29 Prozent mehr. Aber hier hatte Kickl einen Karl Nehammer (ÖVP) zum Gegner, der sich nie ganz von seinem gescheiterten Vorgänger Sebastian Kurz emanzipiert hat; sowie mit Andreas Babler (SPÖ) einen Widersacher, der nicht zuletzt von eigenen „Parteifreunden“ demontiert wurde. Da konnte Kickl nur abräumen.
Jetzt, das Kanzleramt vor Augen, ist der FPÖ-Chef dabei, über sich selbst zu stolpern. Er zeigt Nerven und macht Fehler. Getrieben von der eigenen Lüge, dass sich die gesamte Bevölkerung nach seiner Politik sehne, ja von der Überzeugung, dass er bei Wahlen nur gewinnen könne, hat er der ÖVP bei den Regierungsverhandlungen nicht nur gesagt, dass sie bloß Juniorpartnerin wäre. Beziehungsweise Mehrheitsbeschafferin: Es ist ganz offensichtlich so, dass er das wirklich glaubt.
Kickl meint, geradezu absolutistisch agieren zu können. Er beginnt daher zu stolpern, als die Volkspartei plötzlich aufsteht vom Verhandlungstisch und nicht spurt. Da greift er selbst zum Smartphone, um Medienberichten zu widersprechen, dass es eine Pause gebe. „Die nächste Ente!“, schrieb er: „Die ÖVP stimmt sich offenbar intern ab. Das ist ganz normal in Verhandlungen. Wir stimmen uns auch immer wieder intern ab. Morgen kann es dann schon weitergehen.“
These: Kickl hat es nicht ausgehalten, dass die Verhandlungen nicht nach seinem Plan verlaufen. Dass das Gegenüber ausschert. Medienberichte, die auf dieses Ausscheren hinwiesen, waren umso schmerzlicher für ihn. Und durch seine emotionale Reaktion („Die nächste Ente!“) zeigte er das auch noch öffentlich.
Am nächsten Tag („Morgen“) ging es nicht weiter, als wäre nichts gewesen. Kickl selbst griff wieder zum Smartphone (oder zu einem anderen Gerät), um sich zu entblößen: Es gehe nicht um Macht und Posten, aber für die Freiheitlichen beanspruche er das Finanz- und das Innenministerium.
In den vergangenen Jahrzehnten hat es selten einen Regierungsverhandler gegeben, der Vergleichbares lieferte. Kein Wunder: So schwächt man die eigene Position. Grundsätzlich liegt Kickl nicht daneben, wenn er auf die Performance der jüngsten ÖVP-Finanzminister verweist; sie ist eine Aufforderung, der Volkspartei das Ressort zu nehmen. Andererseits aber zeigt Kickl hier persönlich, dass es ihm um Macht und Posten geht.
So erreicht man eher keine Einigung bei Verhandlungen. Noch agiert man so, wenn man es auf Neuwahlen abgesehen hat. Was wäre denn das für eine Botschaft: Weil man Kickl (bzw. der FPÖ) sowohl das Finanz- aus auch das Innenministerium vorenthält, muss gewählt werden? Lachhaft!
Hier betreibt einer Selbstbeschädigung, der ganz offensichtlich überschätzt wird: Kickl ist nicht unschlagbar. Im Gegenteil. Die erste Frage, die sich dazu stellt, ist allerdings: Sickert das auch in der ÖVP, bevor sie sich ihm aus Angst vor Neuwahlen unterwirft?