ANALYSE. Was kann Herbert Kickl schon anrichten, wo es doch eine Verfassung gibt, die er nicht ändern kann? Viel. Beim Bewusstsein dafür hapert’s jedoch.
Behauptung: Es gibt Leute, die wollen die Bedrohungen, die mit einem Bundeskanzler Herbert Kickl (FPÖ) einhergehen, nicht ausdrücken und andere, die sie nicht sehen. Zu ersteren zählt der burgenländische Landeshauptmann Hans Peter Doskozil (SPÖ). Offenbar, um Wähler, die bei der Nationalratswahl blau gewählt haben, nicht zu verschrecken, sondern bei der Landtagswahl zu gewinnen, hat er in einem „Standard“-Interview folgendes gesagt:
„In unserer Verfassung gibt es Grundprinzipien. Eines ist, dass wir eine Demokratie sind, in der es freie Wahlen gibt. Daran wird die FPÖ niemals etwas ändern können. So stark wird sie nicht werden. Auch für einfache Gesetze braucht die FPÖ eine Mehrheit, die sie allein nicht hat.“
Es entspricht ungefähr dem, was der Philosoph Konrad Paul Liessmann in einem Gastkommentar in der „Kleinen Zeitung“ geschrieben hat. Biblischer Titel: „Fürchtet euch nicht“. Das habe Kickl, so lässt er wissen, seinen Anhängern zugerufen: „Diese tröstliche Aufforderung der Engel sollten sich allerdings auch seine Kritiker zu Herzen nehmen.“
Liessmann weist darauf hin, dass Kickl vor allem auch durch Schwächen seiner politischen Mitbewerber groß geworden ist, betont zwischendurch aber: „Nichts von dem, was nun gegen eine Mitte-Rechts-Regierung in Österreich vorgebracht wird, ist neu.“
Da kann man diese „Fürchtet euch nicht“ nachvollziehen: Der Mann findet offenbar, dass Kickl und Co, einmal am Ruder, bald entzaubert sind. Wie Anfang der 2000er und Ende der 2010er Jahre. Das ist jedoch naiv. Ja, während sich Doskozil demonstrativ unbesorgt gibt, zeichnet sich Liessmann durch Naivität aus. Beide stärken Schlafwandler, die nicht sehen (wollen), was ist.
Kickl will nicht einfach nur Zugang zu Macht, wie es unter Jörg Haider und Heinz-Christian Stache (beide FPÖ) noch eher der Fall war und unter denen dann auch vor allem dies geliefert wurde: Korruptionsaffären.
Kickl erklärt, er wolle „Volkskanzler“ werden. In seiner Neujahrsrede hat er bekräftigt, dass er das wirklich so meint. Da sprach er in unterschiedlichen Worten immer wieder von einem „Schulterschluss mit der eigenen Bevölkerung“. Er behauptet, im Sinne aller Bürgerinnen und Bürger zu agieren. Eine demokratische Zumutung, die ihresgleichen sucht: Er unterstellt einen „Schulterschluss“ mit Ihnen, Ihren Angehörigen, Nachbarn und allen übrigen Österreichern und legitimiert mit dieser Lüge sich selbst, zunächst die „wirtschaftliche Talsohle“ zu durchschreiten und dann „den gesellschaftlichen Irrweg des linken Zeitgeistes mit dazu zu sanieren“.
Linker Zeitgeist steht für alles, was eine offene Gesellschaft kennzeichnet und Rechten missfällt: Vielfalt im Rahmen der Verfassung und von Menschenrechten, also ausdrücklich auch Anders- oder Nicht-normal-sein; Selbstbestimmung, Kritik etc.
Dagegen kann Kickl mit einer willfährigen ÖVP, die eher nur zur Fortsetzung ihrer Klientelpolitik weiter mitregieren will, angehen. Erste Signale dahingehend sind etwa die Ankündigung einer „Meldestelle für politisierende Lehrer“, die Umwandlung des ORF in einen Grundfunk oder die Ankündigung, einem „Scheißblatt“ wie dem „Standard“ Inserate und Förderungen zu kürzen sowie rechte Organe wie AUF 1 neu zu fördern. Ergebnis: Im öffentlichen Dienst würde es sehr ruhig werden. Nicht nur Lehrer würden sich zweimal überlegen, was sie aussprechen. Journalismus wiederum wäre bedroht; mit ihm wären es auch Plattformen (wie derstandard.at), die für Bürger wichtig sind. Am Ende würde es sie vielleicht gar nicht mehr geben – und sie irgendwann wieder aufzubauen wäre schwer.
Kickl kann die Demokratie nicht abschaffen: Wenn ihm seine Regierungsmitglieder und Abgeordneten inklusive jene der ÖVP aber Macht zugestehen, hat er sie. Dann tun und ermöglichen sie, was er will. Ist die von Doskozil erwähnte Hürde, dass er auch für einfache Gesetze eine Mehrheit brauche, keine Hürde. Abgesehen davon wird er dann vielleicht schon so viele Medien, die überwiegend öffentliche Mittel benötigen, um existieren zu können, in den Ruin getrieben haben, dass es keine vierte Gewalt mehr gibt.
Kickl wird auch die Justiz nicht abschaffen können. Auch sie aber kann man zum Beispiel aushungern. 20 Prozent weniger Geld für die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft heißt de facto ein Fünftel weniger Staatsanwälte und eine entsprechend geschwächte WKStA.
Kickl denkt eigenen Angaben zufolge nicht daran, Österreich aus der EU zu führen. Das ist nicht ganz unglaubwürdig: Dann würde ihm ja eine zentrale Institution fehlen, an der er sich reiben und gegen die er Menschen mobilisieren kann. Mit der Folge, dass es am Ende vielleicht doch eine Mehrheit für einen Austritt gibt, was er halt in Kauf nimmt.