ANALYSE. Man sollte sich nicht täuschen lassen: Die ÖVP macht es sich schwer, sich einer Zusammenarbeit mit der FPÖ zu entziehen.
Man sollte nicht viel geben auf „Sonntagsfragen“ (wie hier ausgeführt), zumindest das aber lässt sich herauslesen: Wenn, dann gibt es eher nur eine Koalitionsvariante mit zwei Parteien, die über eine Mehrheit im Hohen Haus verfügt; das ist Blau-Türkis. Und: Das, was als „Große Koalition“ bezeichnet wird, oder eine Ampel bestehend aus SPÖ, Neos und Grünen wird sich kaum ausgehen.
Kommt also Blau-Türkis? Abgesehen davon, dass erst gewählt werden muss, wäre das noch keine ausreichende Begründung. Es geht um mehr. Es geht in Richtung Blau-Türkis, weil sehr vieles auf eine Mehrheit rechts der Mitte hindeutet; weil die türkise Volkspartei – zum Teil sogar mit denselben Begriffen – die freiheitliche Erzählung erzählt; weil sie sich so eine Wählerschaft schafft, der sie nur mit Freiheitlichen in der Regierung entsprechen kann; und weil sie nicht im Ansatz einen Plan für eine Alternative hat.
Unter Sebastian Kurz hat die ÖVP Freiheitliche insbesondere in Asyl- und Migrationsfragen kopiert: Fluchtrouten wurden für geschlossen erklärt, Zuwanderung mit einer solchen ins Sozialsystem gleichgesetzt und abgelehnt. Jetzt geht man darüber hinaus. Man fasst alle politischen Mitbewerber zusammen und spricht – wie Generalsekreter Christian Stocker – von einer „Einheitspartei“. Das kommt von Kickl: „Die anderen sind alle gleich übel“, will er damit sinngemäß sagen, „Sie stecken unter einer Decke und sind gegen das Volk bzw. Österreich.“ In Summe ist keine Koalitionsvariante – außer eben die blau-türkise – denkbar, in der die ÖVP ein solches Demokratieverständnis pflegen kann.
Abgesehen davon kann man schon im türkisen Umgang mit Grünen eine Weichenstellung erkennen: Über deren Klimaschutzministerin Leonore Gewessler, die jetzt schon als „Staatsgefährderin“ bezeichnet wird, wird versucht, Wähler rechts der Mitte anzusprechen: Wähler, die keine Klimakrise sehen oder die vor lauter Krisen nicht damit auch noch behelligt werden wollen. Wähler, die zur FPÖ tendieren.
Karl Nehmmer hat sich längst dafür entschieden, anders, aber doch, im Sinne von Sebastian Kurz potenzielle FPÖ-Wähler zu umwerben und bei Laune zu halten. Stichwort Leitkultur auch. Hier gilt nach der Wahl, was vor der Wahl betrieben wurde. Sonst würde man Verluste erleiden, müsste man sich neu ausrichten. Es gibt in der ÖVP jedoch niemandem, der sich ernsthaft und mit Aussicht auf Erfolg um eine alternative Ausrichtung bemüht. Der „liberale“ Christopher Drexler muss in der Steiermark bei einer Landtagswahl im Spätherbst vielmehr hoffen, nicht Dritter zu werden mit seiner Truppe.
So sehr sich die ÖVP um bläuliche Akzente bemüht, so wenig Akzente setzt sie in andere Richtungen. Im Gegenteil, siehe Ausführungen zu den Grünen. Bei den Sozialdemokraten ortet sie ausschließlich ein Problem namens Andreas Babler. Neos versucht sie nach wie vor zu ignorieren. Sie will nicht wahrhaben, dass diese Partei einst quasi auch als Abspaltung von ihr entstanden ist.
„Aber Nehammer hat eine Zusammenarbeit mit Kickl ausgeschlossen.“ Eh. Man sollte bloß aufhören, so zu tun, als gehe es ausschließlich um Personen. Es geht um Parteien mit austauschbaren Leuten. Es geht um Zwänge, die sich Parteien wie eben die ÖVP selbst bescheren: Sollte die FPÖ auf zum Beispiel 27 Prozent kommen und sie auf 23; sollte Blau-Türkis die einzige Zweiparteien-Koalitionsvariante sein, wird es aufgrund der ganzen Vorgeschichte und aufgrund aller der Umstände schwer bis unmöglich für eine ÖVP mit oder ohne Nehammer, sich nicht auf Freiheitliche mit oder ohne Kickl einzulassen. Sie würde andernfalls riskieren, vollkommen wegzubrechen und keinen Schimmer zu haben, wie sie sich eine neue Wählerschaft aufbauen könnte, die ihr zumindest über 20 Prozent bringt