ANALYSE. Auf dem Weg ins Kanzleramt darf sich Kickl auf Ö3 inszenieren, wie’s ihm gefällt und sich im Übrigen darüber freuen, dass sich Orban nicht mehr mit Nehammer, sondern mit ihm zeigt.
Für Herbert Kickl war das Wochenende großartig. Zuerst das Wehklagen aller Nichtrechten über die Selbstdemontage von US-Präsident Joe Biden in einem TV-Duell gegen Donald Trump. Dann sein Gespräch mit Claudia Stöckl auf Ö3: Vor Hunderttausenden durfte er sich inszenieren, wie’s ihm gefällt: Als Mensch und Vater, der mit seinem – heute erwachsenen – Sohn einst herumgerauft habe, zumal dieser dies lieber mit ihm als mit der Mutter gemacht habe. Außerdem erhielt er die Möglichkeit, sich als selbstloser Politiker zu geben, der sich für die Leute aufopfert: Die Kanzlerschaft sei nichts, was man sich wünsche, beteuerte er: Es sei vielmehr „fast eine Bürde“: „Aber ich spüre eine Verantwortung – und das ist ein schwerer Rucksack, den ich mit mir herumtrage.“ Auf FPÖ TV hätte er’s kaum besser rüberbringen können.
Sonntagvormittag wiederum durfte er den ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orban und den ehemaligen tschechischen Regierungschef Andrej Babis empfangen, um mit ihnen „Patrioten für Europa“, eine neue Rechtsaußenfraktion im EU-Parlament, zu präsentieren. Wobei es letzten Endes natürlich um die Zerstörung der europäischen Integration geht: Durch Volksentscheide soll etwa europäisches Recht ausgehebelt werden können. „Österreich zuerst“ also. Und „Ungarn zuerst“. Und „Tschechien zuerst“. Und so weiter und so fort.
Sonntagabend wurde für Kickl durch den Wahlsieg von Marine Le Pens Rassemblement National in Frankreich deutlich, dass sich die Rechten auf dem Durchmarsch nach oben befinden. Mit einem Satz: Es läuft für den FPÖ-Chef und seine Welt.
Hierzulande muss er sich nicht mehr vor der Sozialdemokratie und schon gar nicht vor der Volkspartei fürchten. Andreas Bablers (SPÖ) Bemühungen, ebenfalls „kleine Leute“ zu umwerben, sind bisher nicht erfolgreich gewesen. Und all die ÖVP-Versuche, ihn aufzuhalten, sind zum Scheitern verurteilt: Sie treibt sich damit eher nur noch mehr in seine Hände.
Karl Nehammers Kalkül, dass Kickl Wähler verliert, wenn man nur oft genug behauptet, dass man ihn nicht zum Kanzler machen würde, geht nicht auf. Die Botschaft wird seit gut einem Jahr getrommelt und die FPÖ hält sich trotzdem klar auf Platz eins (die Europawahl, bei der sie traditionell eher schwächer ist, ist kein Widerspruch dazu). Verräterisch: Dass Kickl ein Sicherheitsrisiko sei, das behaupten Türkise schon gar nicht mehr. Sie haben es aufgegeben, es greift nicht.
Zweitens: Orban, an dessen Seite sich Nehammer in der Vergangenheit gerne gezeigt hat, um Wählern zu signalisieren, dass er eh auch eine harte Migrationspolitik betreibt, hat sich jetzt klar auf die Seite von Kickl geschlagen.
Drittens: Es ist kein Zufall, dass Nehammer damit niemanden mehr hat, mit dem er zeigen könnte, wofür er steht; bzw. mit dem er sich als Alternative zu Kickl darstellen könnte: Abgesehen davon, dass der britische Premierminister Rishi Sunak, mit dem er es zuletzt versucht hat, politisch bald Geschichte ist, ist es bezeichnend für eine größere Krise der Volkspartei: Sie bildet keine selbstbewusste, erkennbare Mitte mehr, sondern ist eine schlechte Kopie der Rechten.
Die Rechten aber werden immer erfolgreicher und damit auch selbstbewusster. Orban wandelt für den EU-Vorsitz seit 1. Juli ungeniert den Trump-Slogan „Make America great again“ in „Make Europe great again“ um. Ein Zynismus, will er doch ausschließlich Nationalstaaten wieder groß machen.
Und Kickl kann Äußerungen von ÖVP-Politikern, wonach sie nie im Leben mit ihm zusammenarbeiten würden, gelassen nehmen: Sollte er mit der FPÖ erster werden bei der Nationalratswahl und es eine blau-türkise Mehrheit geben, werden sie kaum anders können als ihn zu akzeptieren, weil sie ja auch rechts unterwegs sind und Mitte-Positionen längst aufgegeben haben. Weil sie sich damit notwendiger Alternativen beraubt haben.