Propheten des Untergangs

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ANALYSE. Orban stellt die Verhältnisse in Wien nicht anders dar als Kickl. Also gezielt falsch – und trotzdem gefährlich.

Österreich nimmt im Unterschied zu Ungarn sehr viele Flüchtlinge auf. Außerdem ist die Mordrate über die Jahre hierzulande etwas niedriger als im Nachbarland. Was das miteinander zu tun hat? Der ungarische Ministerpräsident Viktor Orban stellt zehn Jahre nach Beginn der Flüchtlingskrise einen Zusammenhang her; noch dazu einen vollkommen verdrehten: „In Wien, Berlin, Stockholm und Paris liegt die öffentliche Sicherheit in Schutt und Asche“, behauptet er: „Migrantenbanden“ würden die Bevölkerung „terrorisieren“. Bombenanschläge und Morde seien „an der Tagesordnung“.

Man würde es sich zu einfach machen, Orban für verrückt zu erklären. Es ist zwar falsch, was er behauptet, aber gefährlich; gefährlich, weil es verfängt und daher im Wesentlichen auch von FPÖ-Chef Herbert Kickl erzählt wird.

Damit gemeint ist nicht die Behauptung von Kickl im ORF-Sommergespräch, dass 2015 „eine klaffende Wunde in den österreichischen Volkskörper geschlagen“ worden sei. Damit gemeint sind Aussagen von ihm, die er heuer im Frühjahr zum Beispiel im Wiener Gemeinderatswahlkampf getätigt hat.

Es wirkt wie eine Vorlage für das, was Orban jetzt gesagt hat. Eins zu eins. Zu Studienergebnissen, denen zu entnehmen ist, dass Wien eine der lebenswertesten Städte weltweit sei, sagte er: „Kann des sein, san de wo angrennt?“ Wenn er Zeitung lese oder Fernsehen schaue, habe er eher das Gefühl, „es rinnt das Blut beim Bildschirm aussa“.

Er, Kickl, habe „das Gefühl, dass Wien die Hauptstadt der Messerstecher ist, dass Wien die Hauptstadt der Belästiger und Vergewaltiger ist, dass Wien die Hauptstadt diverser Araber-Clans ist, dass Wien die Hauptstadt der Bandenkriege und der Islamisierung ist“.

Es ist nicht nur eine Zuspitzung, es ist mehr. Genauso, wie der FPÖ-Chef darüber hinwegtäuschen „muss“, dass in der längsten Rezession der Zweiten Republik die Zahl der Insolvenzen und der Arbeitslosen erfreulich wenig stark steigt und daher sagt, beide würden explodieren, darf es aus seiner Sicht nicht sein, dass Wien auch mit sehr vielen Menschen aus Syrien, Afghanistan und anderen Ländern sehr sicher ist.

Genauer: Er „muss“ so tun, als gebe es ausschließlich Schwierigkeiten. Politisch lebt er schließlich von Abstiegsängsten sehr vieler Menschen, die er verstärken kann, wenn er den Eindruck erweckt, dass eine Firma nach der anderen pleite gehe und es bald keine Jobs mehr gebe. Das ist die Grundlage für einen wie ihn, der autoritär durchgreifen möchte.

Genauso wie es für ihn als Chef einer Partei, die schon seit Jahren von einer „Umvolkung“ spricht und eine „Islamisierung“ ortet, konsequent ist, den Eindruck zu erwecken, dass jetzt ein großes Chaos herrsche und durchgegriffen werden müsse. Stichwort Remigration. Sie soll dadurch legitimiert werden.

Gerade in Zeiten, die ohnehin schon unsicher sind, kann derlei bei einer Masse verfangen. Ist es eine Erklärung dafür, dass die FPÖ trotz Kickl, dem so viele Wähler misstrauen wie keinem anderen Menschen in Österreich, weiterhin über 30 Prozent und damit klar auf Platz eins liegt in den Umfragen.

Zumal es zunehmend weniger Politik gibt, die dagegenhält bzw. mehr, die indirekt bestätigend wirkt: Indem die Regierungsparteien beispielsweise einen Notstand erklären, um Familiennachzug stoppen zu können. Oder indem Ministerinnen wie Claudia Plakolm (ÖVP) den Verdacht nicht widerlegen können, dass es ihnen beim Kopftuchverbot eher um Signale gegen Muslime als um die Bekämpfung von Unterdrückung geht. Oder indem in Bezug auf Integration im Allgemeinen und die Sozialhilfe im Besondern zu sehr der Eindruck vermittelt wird, dass nur noch mit Strafen und Kürzungen gearbeitet werden könne, weil es sonst nicht mehr anders gehe – das sind Bestätigungen für die Kickl-wie-Orban-Erzählung, dass mit Geflüchteten ausschließlich Unzumutbarkeiten verbunden seien.

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