ANALYSE. Gemeinsam mit Sozialdemokraten ist der ehemalige Grünen-Politiker dabei, günstige Voraussetzungen für eine Gegenbewegung zu schaffen, die sehr groß werden kann.
Peter Pilz muss einem nicht leidtun, kann es aber: Wie nah war er nicht schon dran an dem entscheidenden Schritt. „Zwischen Reden und Tun liegt das Meer“, weiß ein italienisches Sprichwort jedoch: Als er im vergangenen Herbst mit Belästigungsvorwürfen konfrontiert wurde, erklärte er umgehend seinen Rücktritt. Für ein paar Stunden. „Ich ziehe mich nicht aus der Politik zurück“, ließ er wenig später in einem Ö1-Morgenjournal wissen. Zusatz: „Mit Sicherheit nicht.“ Zwischendurch hatte er zwar großspurig, aber einsichtig mitgeteilt, zu den „alten, mächtigen Männern“ zu gehören: „Und vielleicht müssen wir dazulernen, dass es nicht nur darum geht, wie wir etwas empfinden, sondern wie die Frauen es empfinden.“ Wer weiß? Sicher! Verinnerlicht hat er die Botschaft jedoch nicht: Er hat sich verabschiedet. Und dann wieder nicht.
Jetzt will der 63-Jährige wieder da sein. Obwohl sich an den Vorwürfen nichts geändert hat. Doch sei’s drum: Pilz gibt sich sogar erfreut darüber, dass all seine Nationalratsabgeordneten damit einverstanden sein sollen. Kein einziger zeigt sich bemerkenswerterweise jedoch bereit, ihm sein Mandat zu überlassen. Was zuletzt auch die „Kronenzeitung“, die ihm stets so wohlgesonnen gegenübergestanden war, „seltsam“ findet – und einem damit fast schon eine kommentierende Bemerkung erspart.
Wer eine gefühlte Ewigkeit im Nationalrat sitzt, verhindert für mehrere Generationen, dass jemand nachwachsen kann.
Das Problem geht jedoch weiter: Peter Pilz ist für nicht wenige in diesem Land ein Hoffnungsträger gewesen. Zumindest als Aufdecker, der den Mächtigen lästig ist. Und das wäre angesichts der Mehrheitsverhältnisse notwendiger denn je. Doch Pilz kann diese Funktion nicht mehr erfüllen: Zu unglaubwürdig ist er geworden, zu widersprüchlich. Zu deutlich hat er gemacht, dass es ihm allein um sich selbst geht und exakt null um irgendeine Sache. Womit er wohl auch unendlich viel Wählervertrauen verspielt hat.
Abgesehen davon: Politiker wie Pilz wären grundsätzlich schon sehr wichtig. Zu viele stehen wie er aber Neuem im Weg: Wer eine gefühlte Ewigkeit im Nationalrat sitzt, verhindert für mehrere Generationen, dass jemand nachwachsen kann. Ob sie wollen oder nicht. Was, um von Pilz allmählich wegzukommen, vielleicht auch eine der Schwächen seiner Ex-Partei war; mit ihm und zu vielen seinesgleichen sind die Grünen im Laufe der Zeit alt geworden.
… das wäre ja auch die logische Antwort auf ÖVP und FPÖ, die den rechten Raum 110-prozentig ausfüllen.
Alt ist auch ein Stichwort, das für die SPÖ gilt: Christian Kern ist dabei, bei der Erneuerung der Sozialdemokratie zu scheitern. Wien wird künftig wohl nicht von einem Bürgermeister und Parteivorsitzenden geführt werden, der seinem Versuch entspricht, einen dritten Weg zu entwerfen und dabei vor allem urbane Menschen anzusprechen; die wirtschaftspolitisch in der Mitte und gesellschaftspolitisch eher links stehen. Was nach allen Gesetzen des Marktes ja auch die logische Antwort auf ÖVP und FPÖ wäre, die den rechten Raum 110-prozentig ausfüllen.
Sicher, Kern mag bei der Nationalrastwahl ungewöhnlich viele Städter und oder Akademiker angesprochen haben. In der Partei durchgesetzt hat sich das jedoch nicht. Sonst würde z.B. nicht der quasi designierte burgenländische Landeshauptmann Hans Peter Doskozil (SPÖ) so unsäglich dreist kritisieren, dass die FPÖ zu wenige Abschiebungen durchführe. Und Doskozil ist nicht irgendwer; er ist zu bestimmend, als dass Kern da noch vernünftig an seinem Weg weiterarbeiten könnte.
Pilz und Genossen wie Doskozil provozieren eine neue Bewegung, die in Zeiten wie diesen ohnehin sehr schnell entstehen und wachsen kann.
Womit sehr wahrscheinlich sehr viele Wähler heute ohne Angebot seitens der Politik dastehen: Ein Teil jener nämlich, die am 15. Oktober weder ÖVP noch FPÖ noch Neos unterstützt haben. Summa summarum also immerhin 37 Prozent. Verorten kann man sie in den Ballungsräumen, bei Jüngeren und, wie erwähnt, Akademikern. Eine Gruppe, die man von der Größe her nicht mehr unterschätzen sollte. In Wien ist sie längst relevant geworden; dort zählt bereits jeder Vierte 25- bis 64-Jährige zu den Uni-Absolventen.
Wie auch immer: Gerade Pilz, aber auch Genossen wie Doskozil, könnten diesen Wählern nun sogar Gutes tun. Je länger er das peinliche Schauspiel um seinen Doch-nicht-Rückzug aufführt; und je mehr sie nach rechts rücken, desto eher provozieren sie eine neue Bewegung, die in Zeiten wie diesen ohnehin sehr schnell entstehen und wachsen kann.
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