ANALYSE. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk erklärt die Wahl zu einem Kanzlerduell zwischen dem ÖVP-Chef und Kickl. Das ist nicht korrekt.
Bei den Sozialdemokraten ist die Empörung groß – und das zumindest in diesem Fall aus nachvollziehbaren Gründen: Erstmals lässt der ORF im abschließenden TV-Duell vor einer Nationalratswahl nicht die Chefs der bisher stärksten und zweitstärksten Partei aufeinandertreffen, sondern die Spitzenkandidaten der bisher stärksten und drittstärksten Partei. Karl Nehammer (ÖVP) wird sich also nicht mit Andreas Babler (SPÖ) auseinandersetzen müssen, sondern mit Herbert Kickl (FPÖ) dürfen.
Dürfen? Das letzte TV-Duell ist das wichtigste, es ist das sogenannte Kanzlerduell. Und ein solches mit Kickl wünscht sich die ÖVP schon lange. Auch das ist nachvollziehbar: Nach den 37,5 Prozent, die ihr Sebastian Kurz vor fünf Jahren geholt hat, muss sie nun mit einem Absturz rechnen. Ein solcher lässt sich vielleicht begrenzen, wenn es gelingt, zu vermitteln, dass die ÖVP relevant bleibt. Dass es also einen Sinn hat, sie zu wählen, dass eine Stimme für sie keine verlorene ist.
Das EU-Wahl-Ergebnis war für Volkspartei einerseits zwar katastrophal (minus zehn Prozentpunkte), andererseits aber gut, weil sie knapp Zweite hinter den Freiheitlichen geblieben ist. Damit hat sich die Duell-Ansage weiter betreiben lassen.
Gibt es nun aber wirklich ein Kanzlerduell zwischen Nehammer und Kickl? Der ORF nennt laut „Standard“ „journalistische und terminliche Kriterien“ dafür, die beiden im letzten Duell aufeinandertreffen zu lassen.
In Wirklichkeit entspricht es türkisen Dramaturgievorstellungen. Und sonst nichts. Auf Basis von Umfrageergebnissen davon auszugehen, dass Nehammers ÖVP Zweite hinter Kickls FPÖ werden dürfte, ist unseriös. Umfrageergebnissen ist weniger denn je zu trauen: Bis zur EU-Wahl waren nicht nur der FPÖ deutlich höhere Werte ausgewiesen worden, sondern war die SPÖ vor der ÖVP gesehen worden, die laut Meinungsforschern zum Teil sogar unter 20 Prozent lag. Die Wahl ging dann bekanntlich ganz anders aus. Seither entsprechen die Umfrageergebnisse, die etwa dem APA-Wahltrend zu entnehmen sind, ungefähr dem Ausgang der EU-Wahl. Die Nationalratswahl ist jedoch nicht die EU-Wahl. Sprich: Man sollte sich einmal mehr auf eine Überraschung gefasst machen.
Zumindest so wichtig ist, dass es im Grunde genommen kein „Nehammer oder Kickl wird Kanzler“ geben kann. Die meisten namhaften ÖVP-Vertreter, Nehammer eingeschlossen, schließen eine Zusammenarbeit mit Kickl aus. Ist das ernst gemeint, kann es praktisch nur eine „Große Koalition“ mit Neos oder Grünen geben, wobei die Frage lediglich ist, wer führt, also das Kanzleramt bekommt; und das hängt wiederum davon ab, ob die ÖVP oder die SPÖ stärker wird am 29. September.
Aber natürlich: Koalitionsaussagen vor der Wahl sind relativ wenig wert. Das hat man vor gut 25 Jahren gesehen, als Wolfgang Schüssel für die ÖVP erklärt hat, dass sie als Dritte in Opposition gehen werde. Am Ende hat sie als Dritte das Kanzleramt übernommen und mit der FPÖ koaliert.
Vergleichbares ist diesmal auch möglich. Was zeigt, wie sehr es gerade aus journalistischer Sicht angebracht ist, wenn schon, denn schon bei der Terminplanung für TV-Duelle wie bisher auf Basis des letzten Wahlergebnisses vorzugehen.