ANALYSE. Die Volkspartei tut alles, um bei der EU-Wahl Anfang Juni eine größere Niederlage einzufahren. Das müsste nicht sein.
Reinhold Lopatka: Einen solchen Mann kann sich jede Partei nur wünschen. Er ist mit allen Wassern gewaschen und kennt das Geschäft, wie man so sagt. Das bedeutet, dass man ihn für jede Funktion einsetzen kann. Nur eines ist nicht unbedingt erfolgsversprechend: Glauben, dass man mit dem 63-jährigen Steirer als Spitzenkandidat bei einer Wahl dem bestmöglichen Ergebnis nahekommen kann. Er ist eher der Typ Sekretär, nicht der Politiker, der für eine Masse überzeugend wirken kann. Dennoch hat die ÖVP jetzt beschlossen, ihn als Spitzenkandidat in die EU-Wahl Anfang Juni zu schicken.
Es ist, als suche die Partei das Unglück. In einer Hinsicht muss man jedoch Nachsicht haben: Beim Urnengang vor bald fünf Jahren triumphierte die Volkspartei. Es war in der Hochphase von Sebastian Kurz und wenige Wochen nach dem Ende der türkis-blauen Koalition infolge der Ibiza-Affäre, die der FPÖ, ihrer wichtigsten Konkurrentin, zusetzte. Sie legte um siebeneinhalb Prozentpunkte zu und landete bei 34,6 Prozent. Das wird nun nicht zu halten sein. Soll heißen: Es versteht sich von selbst, dass es nicht einfach ist, jemanden zu finden, der bereit ist, in eine Niederlage zu laufen und dann auch noch den Kopf dafür hinzuhalten. Wie etwa Andreas Khol bei der Bundespräsidenten-Wahl 2016.
Aber muss es Lopakta sein, ist es klug, mit ihm an der Spitze anzutreten? Nein: Die ÖVP riskiert so, unter ihren Möglichen zu bleiben. Was insofern verhängnisvoll ist für sie, als die EU-Wahl als Test für die Nationalratswahl gelten wird.
Reinhold Lopatka steht für keine Europapolitik. Das hat er mit seiner ersten Stellungnahme zum Ausdruck gebracht. Sie war laut ORF.AT: „Er wolle die Rolle von nationalen und regionalen Parlamenten bei EU-Entscheidungen stärken. Das Verhältnis von EU-Verordnungen (direkt anwendbar) zu EU-Richtlinien (von nationalen Parlamenten umzusetzen) habe sich im Lauf der vergangenen zwei Jahrzehnte deutlich zugunsten der Verordnungen entwickelt.“ Weniger EU also. Wobei: Der Schmied in dieser Frage ist die FPÖ. Wer wirklich weniger EU will, erhält von Herbert Kickl und Harald Vilimsky maßgeschneiderte Angebote. Warum also zum Schmiedl rennen?
Schaut man sich SORA-Wahlanalysen an, stellt man fest, dass die Ausgangslage der ÖVP für die EU-Wahl deutlich weniger schlecht wäre als für die Nationalratswahl: Zum einen wechselten (im Vergleich) kaum FPÖ-Wähler zu ihr, die sie heute verlieren könnte. (Profitiert hat sie vor allem davon, ehemalige Nichtwähler mobilisiert zu haben.) Zum anderen war laut Wahltagsbefragung ein dezidiert pro-europäisches Angebot ein entscheidendes Motiv, sie zu unterstützen: Ihr damaliger Spitzenkandidat Othmar Karas. Ihn aber hat man so sehr verstoßen, dass er zuletzt ankündigte, nicht mehr anzutreten.
Ergebnisse einer Eurobarometer-Befragung vor Weihnachten erweckten den Eindruck, dass die Menschen in Österreich sehr antieuropäisch eingestellt sind. Schaut man sich die Werte dieser und anderer aktueller Erhebungen an, stellt man fest, dass das zwar nicht zu unterschätzen ist, es aber noch immer eine Mehrheit im Sinne der europäischen Integration im Rahmen der EU gibt (vgl. dazu einen eigenen Bericht hier). Da wäre einiges zu holen.