ANALYSE. Durch ihren Umgang mit Kickl riskieren Karl Nehammer und Co., noch mehr Wählerinnen und Wähler zu verlieren.
Die Verhältnisse sind ziemlich klar, seit sich die niederösterreichische Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner (ÖVP) auf eine Zusammenarbeit mit Freiheitlichen wie Udo Landbauer, also de fato Leuten wie Herbert Kickl, eingelassen hat: Für Türkise gibt es keine Grenzen, keinen Verfassungsbogen oder was auch immer. Für den Machterhalt geht alles.
Auf Bundesebene hat Klubobmann August Wöginger vor bald einem Monat im ORF-Report deutlich gemacht, dass auch eine Koalition mit Kickl selbst denkbar ist: „Wir können ja nicht generell eine Partei ausschließen, das bringt ja auch nichts. Aber natürlich gibt es Persönlichkeiten in der FPÖ mit denen wir besser und leichter zusammenarbeiten.“ Leichter ist es laut Wöginger zum Beispiel mit dem 3. Nationalratspräsidenten Norbert Hofer. Er bemühe sich aber auch mit Kickl „um ein korrektes Verhältnis und um eine korrekte Zusammenarbeit“.
Zu Ostern hat die „Krone“ zur Frage einer Koalition mit der Kickl-FPÖ Finanzminister Magnus Brunner (ÖVP) mit folgenden Worten zitiert: „In vielen Bundesländern gibt es und hat es Koalitionen mit der FPÖ gegeben. Ja, die FPÖ macht es einem derzeit nicht leicht. Aber ich denke, man muss das pragmatisch sehen.“ Brunners Sprecher ließ umgehend wissen, dass das lediglich auf Niederösterreich bezogen sei. Die Zeitung widersprach und meinte, dass sich die Frage klar auf die nächste Nationalratswahl und Kickl bezogen habe – was der Finanzminister „auch sicher so verstanden“ habe.
Selbst wenn es sich um ein Missverständnis gehandelt haben sollte, wäre es bezeichnend: Zunächst rächt sich für die Volkspartei von Bundeskanzler Karl Nehammer, Entscheidendes versäumt zu haben. Sie hat die Zeit nach dem Abgang von Sebastian Kurz nicht für eine Neuaufstellung genützt. Und: Sie hat Kickl als Mitbewerber um ein und dieselben Zielgruppen vernachlässigt und unterschätzt. Zwischendurch hätte ihr – These von dieSubstanz.at – Bundespräsident Alexander Van der Bellen sogar „geholfen“, als er etwa ausführte, dass für eine Regierungsbeteiligung ein klares Bekenntnis zur europäischen Integration notwendig ist. Sie hätte derlei aufgreifen und klarmachen können, wo es rote Linien für sie gibt; auch um eine breitere Öffentlichkeit dafür zu sensibilisieren, was Kickl liefert. Sie hat es nicht getan.
Mittlerweile gibt sich die ÖVP geschlagen: Die FPÖ spricht so viele Wählerinnen und Wähler an, die sie (die ÖVP) seit Kurz auch als die Ihren betrachtet, dass sie sich gar nicht mehr traut, eine harte, konsequente Auseinandersetzung mit Kickl zu führen. Sie lässt sogar die Vermutung zu, dass sie diesen auch als Kanzler hinnehmen würde.
Worüber man sich wundern kann, weil es eben riskant ist: Wer heute die ÖVP wählt, muss damit rechnen, morgen mit Kickl aufzuwachen. Das ist dazu angetan, ihr doppelte Verluste zu bescheren. Erstens: Einem Teil der Wählerschaft signalisiert sie, dass sie gleich Kickl bzw. dessen FPÖ wählen können. Zweitens: Einem anderen Teil der Wählerschaft, für den Kickl untragbar ist, machte sie deutlich, dass sie ihre Stimme unter keinen Umständen der ÖVP geben dürfen, sondern Grünen, Neos oder – je nachdem, wer diese künftig führen wird – Sozialdemokraten.
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