ANALYSE. Das Wahldebakel in Waidhofen ist von überregionaler Bedeutung – auch im Hinblick auf kommende Gemeinderats- und Landtagswahlen.
Die niederösterreichische Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner (ÖVP) hat allen Grund, schwer beunruhigt zu sein. In spätestens einem Jahr hat sie sich einer Landtagswahl zu stellen. Die 49,6 Prozent vom letzten Mal, die ihrer Partei eine absolute Mandatsmehrheit bescherte, sind kaum zu halten. Die blau-gelbe Marke Volkspartei zu pflegen wäre aufgrund türkiser Affären ohnehin schon eine Herausforderung für sich; beim Urnengang vor vier Jahren schadete der damalige Hype um Sebastian Kurz zumindest nicht. Das ungleich größere Problem ist jedoch, was mit Corona politisch einhergeht. Insbesondere die Impfpflicht. Sie ist unter tatkräftiger Mitwirkung der Landeshauptleute im vergangenen November auf Schiene gesetzt worden. Jetzt könnte das der einen oder dem anderen unter ihnen zum Verhängnis werden.
Rückblickend kann man sich wundern: Die Impfdebatte hatte sich schon länger dahingezogen. In Oberösterreich ließ sich ÖVP-Landeshauptmann Thomas Stelzer im Herbst sogar darauf ein, gemeinsam mit den Freiheitlichen die Einführung einer Impfpflicht auf Landesebene auszuschließen; und zwar schriftlich im Koalitionsprogramm für die laufende Legislaturperiode.
Andererseits haben gerade ÖVP-Politiker immer betont, die größten Vorbehalte gegen die Impfung gebe es dort, wo die FPÖ stark ist. Das ist nicht falsch, aber nur die halbe Wahrheit: Im südwestlichen Niederösterreich etwa, wo traditionell Schwarz-Türkise das Sagen haben, zeugen ungewöhnlich niedrige Durchimpfungsraten ebenfalls von beträchtlicher Skepsis in Teilen der Bevölkerung. Im Bezirk Scheibbs liegt die Rate mit 62 Prozent ebenso weit unter dem bundesweiten Niveau (knapp 69 Prozent) wie in Amstetten (63,8 Prozent) oder in der Statutarstadt Waidhofen an der Ybbs (63,5 Prozent), der Heimat- und Wohnortgemeinde von Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka (ÖVP); hier hat seine Polit-Laufbahn begonnen, zeigt er sich nach wie vor gerne bei den Leuten auf dem Oberen und auf dem Unteren Stadtplatz.
Waidhofen zählt keine 12.000 Einwohner, ist im Moment aber von überregionaler Bedeutung: Bei der Gemeinderatswahl kam die impfgegnerische Liste MFG am vergangenen Sonntag auf 17,1 Prozent. Gegangen ist das weniger auf Kosten der Freiheitlichen, die hier noch nie stark waren, sondern vor allem auf jene der Volkspartei. Sie hat gegenüber dem vorherigen Urnengang fast ein Drittel ihres Stimmenanteils verloren und ist von 60,2 auf 41,3 Prozent eingebrochen.
„Wir haben die erste Impfpflicht-Wahl erlebt, wo keine der etablierten Parteien so abgeschnitten hat, wie man sich das erwartet hat, auch wir nicht.“ MFG habe die Themen hingegen „perfekt bedient“, so ÖVP-Bürgermeister Werner Krammer hinterher.
Das ist eine Warnung für (schwarz-türkise) Parteikollegen: Ende Februar finden Gemeinderatswahlen in Tirol statt. Die dortige Volkspartei steht Umfragen zufolge katastrophal da; nämlich unter 40 Prozent – bzw. laut einer Erhebung im Auftrag der TT vom Dezember gar nur bei 32 Prozent. Bei der Landtagswahl 2018 erreichte sie mehr als 44 Prozent. Ihre Mitbewerber verzeichnen weniger große Veränderungen. Ausnahme: MFG würde es ziemlich sicher in den Landtag schaffen.
In Tirol ist die Gemengelage extraschlecht für die ÖVP: Zur Impfpflicht kommen Beschränkungen, die dem Tourismus auch in der laufenden Wintersaison zusetzen und daher für Unmut ebendort sorgen. Außerdem ist da noch seit „Ischgl“ eine Performance von Landeshauptmann Günther Platter (ÖVP), die in anderen Staaten vielleicht schon zur Ablöse geführt hätte.
Doch zurück nach Niederösterreich: Spätestens Ende Jänner 2023 muss hier eine Landtagswahl durchgeführt werden. Bei der vorherrschenden Großwetterlage ist das denkbar ungünstig für Johanna Mikl-Leitner. Es muss etwas passieren.
Eine Option: Corona im Allgemeinden und die Impfung im Besonderen sind am besten keine oder kaum wahrnehmbare Themen. Darauf hatte auch schon Stelzer gesetzt. Machen lässt sich das aber nur, wenn die Umstände passen. Im Falle einer weiteren Infektionswelle im Herbst, die die sich dann auch noch mit nachfolgenden Wellen in den Winter hineinzieht, sind die Umstände widrig; ist das Risiko groß, dass einmal mehr vor allem darüber geredet wird. Zumindest von daher wäre ein Urnengang schon im kommenden Sommer naheliegend. Dann herrscht erfahrungsgemäß „Normalität“, gelingt es einigermaßen, die Pandemie zu verdrängen. Aber eine solche Vorverlegung der Wahl um ein halbes Jahr müsste auch erst argumentiert werden. Vor allem, wenn man über eine absolute Mandatsmehrheit verfügt.
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