ANALYSE. Lena Schilling hat schon verloren. Nicht nur, weil sie selbst alles noch schlimmer macht.
Wer seinen Medienkonsum auf ORF.AT beschränkt, hat die Geschichte nicht groß mitbekommen. Natürlich wurde auf der Seite über Vorwürfe berichtet, die gegen Lena Schilling, die Grünen-Spitzenkandidatin bei der EU-Wahl, erhoben werden. Größer aber nur über die unsägliche Pressekonferenz mit Parteichef, Vizekanzler Werner Kogler, in der dieser „Gefurze“ nach einem ersten „Standard“-Bericht ortete; und dann über Einordnungen, die die Politikwissenschaftler Peter Filzmaier und Kathrin Stainer-Hämmerle vorgenommen haben. Das war’s im Wesentlichen.
Es ist bemerkenswert und gibt zu denken: Ist es journalistisch vernünftig so? Was dagegen spricht: Es geht vor allem auch um den Zustand der Grünen, also immerhin einer Regierungspartei. Ohne Konflikte in ihren Reihen hätte der „Standard“ kaum gut 50 Gesprächspartner:innen gefunden, die ganz offensichtlich Bestätigungen geliefert haben. Zweitens: Es ist nicht so, dass es im Inhalt keine politische Tangente gibt, wie Kogler gerne tut. Schilling hat über Bekannte und Journalisten persönliche Dinge verbreitet, die sie rechtlich in Teufels Küche bringen könnten (in einem Fall hat sie ja eine Unterlassungserklärung unterzeichnet) und die ganz grundsätzlich an ihrem Umgang mit der Wahrheit zweifeln lassen. Mehr dazu weiter unten.
Was gegen eine breite Auseinandersetzung mit einzelnen Vorwürfen spricht, ist die Frage, wie relevant sie für die Öffentlichkeit sind. Wobei Schilling diese Frage am Wochenende durch ein dreiseitiges Interview mit der „Kronen Zeitung“ erübrigt hat. Es sind drei Seiten, in denen es darum geht, was sie warum über wen sagt hat. „Ich habe mir in einem konkreten Moment total Sorgen um meine Freundin gemacht.“ Und so weiter und so fort. Vieles will man gar nicht wissen.
Bei dem wenigen, was in diesem Interview politisch ist, kann sie nur verlieren. Auf die Frage, ob sie froh sei, dass Harald Vilimsky sie in einer ersten TV-Elefantenrunde verteidigt habe, kann sie nicht sagen „Nein“. Sie gibt an, froh zu sein, dass ihre Mitbewerber „respektvoll mit dieser Situation“ umgegangen seien: „Das rechne ich allen hoch an.“ Ihre Mutter, die bei dem Interview dabei sitzt, ergänzt, das sie das ebenfalls sei und merkt laut „Krone“ an, dass „Lenas Opa FPÖ-Bezirksrat in Wien-Margareten“ gewesen sei und jetzt „oben auf seiner Wolke sehr stolz auf seine Enkelin runterschaue“.
Zur Erinnreung: Teil von Schillings Kampagne ist es, gegen Rechte anzutreten. Und dann kommt der Oberrechte Vilimsky daher und gibt sich solidarisch mit ihr. Und sie kann sich dem nicht widersetzen. Wie auch? Verhängnisvolle Botschaft aus ihrer Sicht: Rechte können auch gut sein.
Dass ORF.AT in den vergangenen Tagen so wenig über das berichtete, was da und dort als „Causa Schilling“ bezeichnet wird, ist eine Ermunterung, zu reflektieren, was hier läuft: Was über Schilling bekannt geworden ist, steht ihrem Anspruch entgegen, eine politisch verantwortliche Funktion zu übernehmen. Gerne wird ihr der dafür nötige Charakter abgesprochen. „Eine faktenarme Öffentlichkeit sitzt zu Gericht über den Charakter einer Heranwachsenden“, hält Hubert Patterer in der „Kleinen Zeitung“ fest, um zu fragen: „Ist das noch Journalismus?“
In Österreich hat’s das so noch nie gegeben: Es wird über den Charakter einer politischen Persönlichkeit geurteilt. Dass Grüne („Gefurze“) und Schilling (z.B. durch das erwähnte Interview) unfreiwillig beitragen dazu, ändert nichts daran, dass man das (erstens) bisher eben noch nie gemacht hat und dass man (zweitens) daher schwer sagen kann, was denn relevant sei.
Die Verlockung ist groß, Beispiele zu nennen: Warum haben zuerst sehr viele Medien Sebastian Kurz mit groß gemacht und sich hinterher nach diversen Chats wie jenem, einem Kirchenvertreter „Vollgas“ zu geben, verwundert gezeigt? Warum wird bei Herbert Kickl exakt null über den Charakter gesprochen, wenn er in der bekannten Art über Geflüchtete oder politische Gegner spricht? Es muss betont werden: Jeder Fall ist einzigartig. In der Sache ist Kurz nicht mit Kickl, sind beide sind nicht mit Schilling vergleichbar. Ihr Fall muss aber Anlass sein, zu klären, wie das ab sofort generell mit dem Charakter gehandhabt werden soll.