ANALYSE. Man kann davon ausgehen, dass jetzt noch mehr Wähler unentschlossen sind. Womit eine Überraschung am 15. Oktober wahrscheinlicher denn je ist.
Niemand kann sagen, wie diese Nationalratswahl ausgehen wird. Natürlich kann man sich allmählich trauen, eine größere Summe darauf zu setzen, dass die Neue Volkspartei von Sebastian Kurz auf Platz eins kommt. Bei allen Tipps sollte man jedoch zwei, drei Dinge nicht vergessen: Zunächst einmal kann aufgrund der erheblichen Veränderungen, die sich da anbahnen, davon ausgegangen werden, dass es eine ziemlich hohe Wahlbeteiligung geben wird; das, was sich da tut, lässt schließlich kaum jemanden kalt. Zum anderen ist zwar immer wieder zu hören, dass die ÖVP-Werte „durch die Decke“ (also nach oben) schießen. Gemeinsam mit der FPÖ, die sich auf sehr ähnliche Inhalte beschränkt, ist jedoch auch dieses Potenzial begrenzt. Sprich: So lange die Freiheitlichen gut und gerne 25 Prozent schaffen könnten, kann die Volkspartei schwer über 35 Prozent kommen. Bleiben rund 40 Prozent übrig; wobei die Kleinparteien aufgrund der SPÖ-Krise neue Hoffnung schöpfen dürfen. Doch eines nach dem anderen.
Mit der SPÖ-Affäre umzugehen ist für die Mitbewerber auch wieder nicht so einfach, wie man annehmen könnte.
Im Zentrum der Wahlentscheidung steht momentan die SPÖ, die im Zuge der Silberstein-Dirty-Campaigning-Affäre eine echtes Glaubwürdigkeits- und Führungsproblem bekommen hat. Damit umzugehen ist für die Mitbewerber auch wieder nicht so einfach, wie man annehmen könnte: Prügelt man Christian Kern und Genossen zu sehr, könnte man damit eher eine Trotzreaktion bei diesen auslösen. Was FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache ganz offensichtlich weiß. Überraschend zurückhaltend hat er sich am Montagabend im TV-Duell mit Kern gegeben. Naheliegendes Kalkül: So kann er enttäuschten Genossen eher eine Brücke zu den Freiheitlichen anbieten, die sie am 15. Oktober auch nützen.
Strache hat in den vergangenen Wochen überhaupt Dinge unterlassen, die ihm schaden könnten.
Strache hat in den vergangenen Wochen überhaupt Dinge unterlassen, die ihm schaden könnten. Im Unterschied zu Sebastian Kurz, der zunächst auf alleinerziehende Mütter in seinem Steuerreformkonzept vergessen hat; der die falsche Behauptung aufgestellt hat, Hans-Peter Haselsteiner habe der SPÖ 100.000 Euro gespendet; der sich von Grünen-Spitzenkandidatin Ulrike Lunacek nachweisen lassen muss, dass sein Team eine Entwicklungshilfe-Statistik frisiert habe – das sind viele verhältnismäßig kleine Dinge, die einem, der ausgezogen ist, einen Wahltriumph zu feiern, nicht passieren dürfen. Und die von den Österreichern auch bemerkenswert stark wahrgenommen werden (Beispiel Entwicklungshilfe-Statistik).
Auf der anderen Seite können die Kleinparteien aufgrund der SPÖ-Krise erstmals hoffen, sich nicht nur im Hohen Haus zu halten, sondern auf fünf, sechs Prozent zu kommen: Jemand, der Christian Kern bisher allein aus dem Grund unterstützen wollte, Kurz oder Strache als Kanzler zu verhindern, wird das möglicherweise nicht mehr tun; allgemeine Überzeugung ist schließlich, dass die Kanzlerschaft für Kern gelaufen sei. Sprich: Da kann man gleich Grüne, Neos oder die Liste Pilz unterstützen.
Ja, gerade auch Pilz darf erstmals wirklich Zuversicht schöpfen.
Ja, gerade auch Pilz darf erstmals wirklich Zuversicht schöpfen: Ein Kanzlerdreikampf bis zuletzt wäre für ihn tödlich gewesen. Jetzt aber ist von einer klaren Mehrheit für Schwarz-Blau auszugehen. Und damit werden in der linken Wählerschaft halt noch immer Sparpakete und vor allem auch Skandale assoziiert, die ein starkes Kontrollorgan in den Reihen der Opposition notwendig machen – was nun einmal das Markenzeichen des Peter Pilz ist.
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