ANALYSE. Mit Leonore Gewessler bekommen die Grünen eine polarisierende Parteivorsitzende. Einerseits. Andererseits will ganz offensichtlich auch sie die Partei breit aufstellen.
Vor ein paar Jahren ist es bei den Grünen immer wieder um den Einfluss von Realos und von Fundis gegangen. Heute sind eher Normalos bestimmend. Natürlich: Es ist kaum eine Persönlichkeit an ihrer Spitze vorstellbar, die mehr polarisiert als die bisherige Klimaschutzministerin Leonore Gewessler, die gerade ankündigt hat, auf einem Bundesparteitag Ende Juni für den Vorsitz zu kandidieren. In einer klassischen Volks- im Sinne von Massenpartei, die es vielen recht machen will, würde sie sich schwer durchsetzen: Sie hat mit ihrem Engagement für Klimaschutz und vor allem ihrem „Ja“ zur europäischen Renaturierungsverordnung nicht nur Rücken-, sondern auch Gegenwind erzeugt. Für eine Kleinpartei ist genau das aber kein Nachteil. Im Gegenteil, es stärkt ihr Profil.
Andererseits gehen offensichtlich aber auch die Grünen und Gewessler selbst davon aus, dass sie sich breiter aufstellen müssen: In einem Video, das sie auf „Bluesky“ veröffentlicht hat, versucht sie in gerade einmal einer Minute zu erklären, worauf sie hinauswill. Das Ganze ist so glatt, dass es durchaus auch von einer Vertreterin einer anderen Partei kommen könnte. Dass man sich daran erinnert, dass im Wien-Wahlkampf Grüne und Neos gerade mit exakt demselben Slogan für sich werben („Du wählst nicht nur für Dich“); dass einem klar wird, dass das nicht ganz zufällig gewesen ist.
Ähnliches gilt auch dafür: „Unsere Politik muss das Leben leichter machen“, sagt Gewessler in dem Video. Das hat doch schon einmal wer getan … Genau: SPÖ-Chef Andreas Babler sagte bei den Koalitionsverhandlungen im vergangenen November, es gehe darum, „das Leben der Österreicherinnen und Österreicher wieder leichter zu machen“.
Hier kommt ein Dilemma der Grünen zum Ausdruck: Gewessler stellt in der Minute nicht ihr Thema, also Klimaschutz, ganz klar in den Mittelpunkt. Es ist ihr wichtiger, es einzuflechten in eine grundsätzliche Botschaft, die ganz besonders auf selbstbestimmte Frauen und eine möglichst gute und auch friedliche Zukunft für Kinder ausgerichtet sein soll.
Das Dilemma? Hier muss es zu Überschneidungen mit Neos und Sozialdemokraten kommen. Nicht generell natürlich, aber teilweise. Gewessler und die Grünen wollen inhaltlich breiter wirken – das ist der Preis, mit dem Chancen, aber auch Risiken einhergehen.
Wie normal im Sinne von gewöhnlich die Grünen auch in Bezug auf parteiinterne Demokratie geworden sind, zeigt sich bei der Kandidatur von Gewessler für den Vorsitz ebenfalls: Basis? Schmeck‘s! Schon als Judith Pühringer von einer Landesversammlung Ende Februar in Wien zur Spitzenkandidatin für die dortige Gemeinderatswahl gewählt wurde, lief die Kampagne für sie bereits. Man hat nicht gewartet, bis die Funktionäre entschieden haben. Klar: Das ist Professionalität. Basisdemokratie dient unter solchen Umständen nur der Bestätigung von de facto Vorbestimmtem.
Bei Gewessler läuft das Ganze jetzt so: Sie teilt mit, dass sie für den Vorsitz kandidieren werde. Die Partei kündigt umgehend eine Pressekonferenz von ihr an, in der sie sich weiter dazu erklären werde. Wird das auch bei möglichen anderen Kandidat:innen der Fall sein? Es müsste. Noch-Bundessprecher Werner Kogler unterstützt öffentlich ihre Kandidatur, genauso wie Alma Zadić und Stefan Kaineder, die ebenfalls dafür gehandelt worden waren. Das ist nicht verboten. Es ist eine Art Professionalität. Sollte jetzt aber noch jemand daherkommen und sagen, er wolle ebenfalls kandidieren, würde es heißen, das sei parteischädigend, oder zumindest, es gebe einen Aufstand – aber sicher nicht, es sei Ausdruck gelebter Basisdemokratie. Eine solche existiert weniger denn je.