„Neuer Stil“

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ANALYSE. Politik ist unter Sebastian Kurz hemmungsloser geworden und hat Institutionen, von Parlament über Justiz bis Medien, größeren Schaden zugefügt. Eine Bilanz.

Sebastian Kurz ist vor allem an sich selbst gescheitert. Angekündigt hatte er einen „neuen Stil“ voller Respekt und Wertschätzung. Bekannt geworden ist, dass er dann, wenn er gerade nicht in der Öffentlichkeit steht und sich inszeniert, schon einmal einem Kirchenvertreter „Vollgas“ geben lässt und einen Parteifreund (Reinhold Mitterlehner) als „Arsch“ bezeichnet. Doch damit hat er seinen Fall nur vergrößert. Die Diskrepanz zwischen Schein und Sein war zu extrem.

Schwerer wiegt der Umgang, den Sebastian Kurz mit Institutionen pflegte. Die Regierung bleibt ebenso beschädigt zurück wie das Parlament, die Justiz oder die Medien. Genauer: Bereits vorher, etwa unter Altkanzler Werner Faymann hervorgerufene Schäden, haben sich ganz massiv ausgeweitet.

Die Regierung genießt heute so wenig Vertrauen wie wohl noch nie. Gerade einmal vier Prozent der Menschen in Österreich vertrauen ihr laut einer aktuellen „Gallup“-Erhebung in Bezug auf die Bewältigung der Coronakrise „sehr“. Kein Wunder: Noch zu Amtszeiten ist Kurz mehr und mehr dazu übergegangen, das zu einer persönlichen Angelegenheit zu machen. Bei der Impfkampagne riss er vorübergehend alles an sich, vor dem Sommer ließ er wiederum verlauten, alles gemeistert zu haben. Zuletzt durfte die Pandemie daher nicht mehr sein, obwohl sie bekanntlich weiterhin ist. Zumindest türkise Ministerinnen und Minister waren angehalten, sich ganz seiner Sache unterzuordnen.

Das Parlament war lästig. Fragen der Abgeordneten, ihres Zeichens immerhin Volksvertreter, wurden von Sebastian Kurz nur widerwillig beantwortet. Für ihn verhängnisvoller Höhepunkt war ein Auftritt im U-Ausschuss, der ihm schließlich Ermittlungen wegen Falschaussage eintrug. Schlimm auch: Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka (ÖVP) engagierte sich nicht im Sinne eines starken Hohen Hauses als Gegengewicht zur Regierung, sondern als Abwehrspieler von Sebastian Kurz gegen rote, blaue, pinke und bisweilen auch grüne Abgeordnete.

Wohl am gefährlichsten trieb es Sebastian Kurz mit der Justiz und mit der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA). Da liefen nicht nur Angriffe, die er selbst oder der hemdsärmelige Andreas Hanger in seinem Sinne ritt. Zunehmend verlagert wurde das Ganze auf eine Ebene, die schwerer durchschaubar ist. Extrembeispiel: Die scharfe Kritik der Rechtsschutzbeauftragten Gabriele Aicher an der WKStA vom Oktober. Erst dieser Tage ist bekannt geworden, dass sie sich mit der Kanzlei Ainedter abgestimmt hatte, die Kurz-Vertraute vertritt. Ergebnis: Der Rechtsschutzbeauftragten ist nicht mehr zu trauen; so wichtig die Funktion ist, die sie bekleidet.

Ainedter führt mehr im Schilde. Gerade hat er eine Oberstaatsanwältin für seine Kanzlei angeworben; nicht ohne sie ihren Unmut über die Justiz äußern zu lassen. Bestätigt wird es nicht, im Gegenteil; man könnte jedoch folgende Absicht dahinter vermuten: Es solle der Eindruck erzeugt werden, Sebastian Kurz widerfahre großes Unrecht, er sei Opfer eine Kampagne.

Schlecht bestellt ist es auch um die Vertrauenswerte der Medien. Inseratenkorruption trugt das Ihre dazu bei. Wobei selbstverständlich zwei dazugehören: Zeitungen, die existenziell abhängig sind von zusätzlichen Werbeschaltungen; und eine Politik, die das ausnützt, um Einfluss nehmen zu können. Sebastian Kurz hat es exzessiv getan.

Und im besten Fall auch übertrieben mit der Einflussnahme auf die Medien. Der Druck für sie ist groß geworden, ihre Unabhängigkeit zu demonstrieren. Glaubwürdigkeit ist am Ende des Tages schließlich noch immer die Währung, die für die meisten von ihnen am wichtigsten ist.

Glück im Unglück zeichnet sich nach dem Abgang von Sebastian Kurz und seinem Medienmanager Gerald Fleischmann gar für den ORF ab: Fleischmann hatte im Sommer Roland Weißmann als neuen Generaldirektor durchgedrückt. Auch dass sich dieser bei gemeinsamen Sitzungen blicken ließ, führte dazu, dass er als türkiser Mann gilt, der für Kurz Radio und Fernsehen machen sowie diverse Digital-Angeboten des Öffentlich-Rechtlichen entsprechend gestalten soll. Dieser Unterstellung muss er jetzt nicht einmal begegnen. Kurz ist weg und Fleischmann wohl auch. Abhängig von den Nachfolgern kann er vielleicht sogar beweisen, was er fachlich kann.

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