ANALYSE. Walter Rosenkranz versucht, die ausgegrenzte FPÖ als staatstragende Kraft zu etablieren. Die Jüdischen Hochschüler:innen haben das durchkreuzt wie noch niemand.
Zurzeit ist in der österreichischen Politik gerne von „Usancen“ die Rede. Weil es eine Gepflogenheit sei, hätte Bundespräsident Alexander Van der Bellen demnach Herbert Kickl, dem Chef der größten Partei, den Regierungsbildungsauftrag erteilen müssen. Obwohl er extra zwei Mal bei Türkisen und Sozialdemokraten nachgefragt hat, ob sie wirklich nicht mit ihm (ÖVP) oder auch mit seiner Partei (SPÖ) koalieren möchten; obwohl dadurch also klargestellt war, dass Kickl nichts zusammengebracht hätte.
Eine andere „Usance“ ist es, der größten Partei die Funktion des Nationalratspräsidenten zu überlassen. Mit Ausnahme der Grünen sind gerade alle Parteien mehr oder weniger dazu gestanden. Walter Rosenkranz gehe eh, hieß es da und dort. Heute weiß man: Rosenkranz missbraucht das Amt, um die ausgegrenzte FPÖ als staatragende Partei zu etablieren.
Zu seinen ersten Aktivitäten zählte, das Hohe Haus für eine große Inszenierung zu öffnen: FPÖ-Chef Herbert Kickl konnte dank seiner Hilfe den ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orban wie einen Staatsgast empfangen. Dabei habe er, Rosenkranz, zahlreiche parlamentarische Usancen missachtet“, gibt sich ÖVP-Generalsekretär Christian Stocker laut „Krone“ empört und stellt ihm 75 Fragen. Beispiele: „Wer hat entschieden, (bei dem Empfang; Anm.) die Fahne der Europäischen Union entfernen zu lassen? Welche objektiven und sachlichen Kriterien führten zur Auswahl von Herbert Kickl als Mitglied Ihrer Delegation für das Treffen mit Viktor Orbán? Können Sie nachvollziehen, dass die Zusammensetzung Ihrer Delegation den Eindruck erweckt, dass es sich dabei um eine Parteiveranstaltung der FPÖ und weniger um einen offiziellen Termin des Nationalratspräsidenten gehandelt hat?“
Was erwartet sich Stocker? Was erwartet sich der 2. Nationalratspräsident Peter Haubner (ÖVP), der Rosenkranz in der Präsidiale zur Rede stellen will? Spätestens durch den ehemaligen Nationalratspräsidenten Wolfgang Sobotka (ÖVP) ist einer breiteren Öffentlichkeit klargeworden: A) Der Nationalratspräsident ist sehr mächtig und alleiniger Hausherr im Parlament. B) Er ist nicht absetzbar.
Walter Rosenkranz nützt das hemmungslos aus. In Zeiten, in denen Demokratien wie die ungarische ins Rechtsautoritäre kippen, sickert allmählich, dass Orban nicht der Letzte gewesen sein könnte, dem er eine Art Staatsempfang zuteilwerden ließ; es gibt viele Feinde der Demokratie, mit denen er das machen kann. Natürlich: Wer einen Mann wie Orban empfängt, disqualifiziert sich für viele. Für nicht wenige zeigt er damit jedoch, dass er auf der „richtigen“ Seite sei und absolut im Sinne des Staatsganzen agiere.
Im Sinne von Herbert Kickl hat Rosenkranz bei alledem nicht nur die 28,8 Prozent der Wähler im Auge, die die FPÖ gewählt haben. Er versucht, darüber hinaus zu wirken.
Man muss sich das einmal vorstellen: Der deutschnationale Burschenschafter, der einen NS-Kriegsverbrecher schon einmal als „Leistungsträger“ bezeichnete und der laut „Standard“ einen Mitarbeiter hat, der unter anderem schon am alljährlich stattfindenden Gedenken für die Neonazi-Ikone Walter Nowotny teilgenommen hat, dieser deutschnationale Burschenschafter Walter Rosenkranz war bei der Veranstaltung zur Erinnerung an die Novemberpogrome 1938 der Israelitischen Kultusgemeine bei der Shoah-Namensmauer in Wien nicht erwünscht. Er glaubte dennoch, an einem anderen Ort, nämlich am Mahnmal für die österreichischen jüdischen Opfer der Shoah am Judenplatz, einen Kranz niederlegen zu müssen. Eine Menschenkette, gebildet von Vertreterinnen und Vertreterinnen der Jüdischen österreichischen Hoschuäler:innen, stellte sich ihm jedoch in den Weg.
Das war ein beachtliches Statement: Walter Rosenkranz hätte hier gerne eine Rolle eingenommen, die ihn als Nationalratspräsidenten zeigt, an dessen Haltung zu NS-Verbrechen kein Zweifel angebracht ist. Auf einem Transparent, das ihm die Studierenden entgegenhielten, hieß es jedoch: „Wer Nazis ehrt, dessen Wort ist nichts wert.“ Rosenkranz versuchte zwar zu eskalieren, sprach von „Gewalt“ gegen ihn, wo keine war. Er musste letzten Endes aber beschämt gehen.
Vergleichbares ist nicht erinnerlich. „Normal“ wäre eher ein Verweis auf Usancen gewesen und einen Nationalratspräsidenten, der gedenken will, gedenken zu lassen. Umso wichtiger ist, was die Hochschüler:innen gemacht haben. Zumal Rosenkranz offenbar vor nichts zurückschreckt, um seine FPÖ, die – von „Volkskanzler“ bis „Remigration“ – in so vielem extrem ist, als staatstragende Partei rüberkommen zu lassen.