Nehammer muss sich neu erfinden

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ANALYSE. Das Kanzler und Chef der Partei, die seit Jahren bestimmend ist, sagt selbst, dass es so nicht weitergehen kann. Wobei: Wie meint er das?

Ehe ÖVP-Chef, Kanzler Karl Nehammer auf einer Pressekonferenz mitteilte, dass er den Regierungsbildungsauftrag annehme, hatte Bundespräsident Alexander Van der Bellen seinen Auftritt: Er bekräftigte, dass FPÖ-Obmann Herbert Kickl zwar die stärkste Partei anführe, aber niemanden habe, der sich für eine Zusammenarbeit anbiete. Womit er, Van der Bellen, klarstellte, warum er ihm den Regierungsbildungsauftrag nicht erteilen kann. Usancen hin, Usancen her: Einen Wahlsieger, mit dem von vornherein niemand will, weil er der EU distanzierter gegenübersteht als Wladimir Putin und weil er ganz offen eine Volkskanzlerschaft anstrebt, also etwas zutiefst Autoritäres, einen solchen Wahlsieger hat es noch nie gegeben.

Wobei: Bei der ÖVP spielt selbstverständlich auch eine Rolle, dass sie in einer blau-türkisen Koalition die Führung abgeben müsste. Inhaltlich kann sie im Übrigen ja durchaus flexibel sein, wenn sie will. Siehe Niederösterreich. Oder Bundesebene: Kickl hat ihr vor wenigen Tagen ein Bekenntnis zum Europäischen Wirtschaftsraum angeboten. Die Empörung war groß. Ein Rückschritt wäre das, hieß es zurecht. Nehammer hat in seinem Österreich-Plan im Frühjahr jedoch vergleichbares gefordert: „Refokussierung der Union auf Wirtschaftsthemen“, hieß es im bescheidenen Europakapitel. Das ging unter.

In der Fassung, die dann als Wahlprogramm galt, war das so nicht mehr enthalten. Waren die Nuancen anders: „Wir wollen durch Reformen, die nicht nur verändern, sondern vor allem verbessern, unser gemeinsames Europa als Ort von Freiheit und Sicherheit, Stabilität und Lebensqualität sowie Innovation und Wohlstand für uns und für kommende Generationen erhalten und weiterentwickeln“, hieß es da beispielsweise.

Vielleicht ist es Ausdruck eines Veränderungsprozesses, den Nehammer vollzieht. Aus Überzeugung oder aus anderen Gründen. Auffallend ist, dass er im Laufe des Jahres irgendwann aufgehört hat, unbeholfen Freiheitliche zu kopieren. Ansätze wie die „Leitkultur“ waren ohnehin nur peinlich. Im Wahlkampf gab er sich jedenfalls als Vertreter einer starken Mitte aus. Das konnte nicht ganz unglaubwürdig bleiben. Eine „Refokuisserung der Union auf Wirtschaftsthemen“ hätte ganz und gar nicht dazu gepasst.

Nehammer scheint zu wissen, dass er diesen Prozess fortsetzen muss. Der Regierungsbildungsauftrag sei kein Auftrag für ein Weiter wie bisher, sagt er beispielsweise. Bemerkenswert für den bisherigen Kanzler und Vertreter einer Partei, sie seit vielen Jahren führend ist in diesem Land. Sie muss viel falsch gemacht haben. Einerseits. Andererseits erklärt Nehammer damit immerhin, dass sich Entscheidendes ändern muss.

Was er meint, ist nicht absehbar. Man kann es sich allenfalls nur zusammenreimen und spekulieren. Wichtig sei etwa, Sorgen und Nöte all jener ernst zu nehmen, die die FPÖ gewählt haben. Zuletzt hat er den Eindruck vermittelt, dass grüne Klimapolitik dem aus seiner Sicht eindeutig widerspricht. Also könnte es weniger davon geben. In Bezug auf Migration und Integration wiederum haben er und die zuständigen Minister Gerhard Karner und Susanne Raab (alle ÖVP) ohnehin schon nichts unversucht gelassen, einschlägige Signale auszusenden. Dabei wird es wohl bleiben.

Am bemerkenswertesten sind die beiden Punkte, die Nehammer darüber hinaus nennt, ohne ins Detail zu gehen: Maßnahmen zur Stärkung der Wirtschaft sowie die Gewährleistung eines Gesundheits- und Pflegesystems, das für alle da ist und bei dem es kurze Wartezeiten gibt. Das kann man als Angebot an die SPÖ verstehen: Bei ersterem muss sie mitgehen. Zweiteres kann sie haben.

Das kann man vor allem auch insofern so verstehen, weil es für den ÖVP-Chef kein Zurück mehr gibt: Entweder kommt Türkis-Rot-Pink zustande oder er muss sich verabschieden. Blau-Türkis gibt es nur mit Kickl. Und damit ohne ihn. Er hat nicht nur vor der Wahl ausgeschlossen, mit diesem zusammenzuarbeiten, sondern auch nach der Wahl. Müsste er das letzten Endes aufgeben und sich doch auf Kickl einlassen, wäre er in einer denkbar üblen Position.

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