ANALYSE. Bei den Regierungsverhandlungen wird’s kritisch. Was jetzt kommt, hat Potenzial für eine Revolte in der ÖVP, aber auch in der SPÖ.
Bald drei Monaten nach der Nationalratswahl wird’s bei der Regierungsbildung wirklich ernst. Zunächst ist sondiert und in vielen Gruppen verhandelt worden. Das sei ein guter und konstruktiver Prozess gewesen, in wichtigen Bereichen seien wesentliche Fortschritte gelungen, berichtet Karl Nehammer, der insofern Chef des Ganzen ist, als er von Bundespräsident Alexander Van der Bellen den Auftrag erhalten hat, eine Regierung zu bilden. Jetzt gehe es in die intensive Phase und diese werde auch über die Feiertage dauern.
Das verheißt nichts Gutes. Einerseits gibt es starke Argumente für eine Einigung Anfang Jänner. Nehammer „muss“, weil er sonst gehen kann. Andreas Babler (SPÖ) und Beate Meinl-Reisinger (Neos) „müssen“, weil sich für ihre Parteien nicht so schnell wieder eine Gelegenheit ergeben könnte, mitzuregieren und weil sie sonst erklären müssten, warum sie es auf einen Kanzler Kickl hinauslaufen lassen.
Andererseits tun sich zunehmend Dynamiken auf, die nicht mehr kontrollierbar sind. Erstens: Nehammer hat als Obmann der „Finanzministerpartei“ ÖVP eine katastrophale Budgetlage zu verantworten. Anstatt schon im Wahlkampf offen zu sagen, dass man in Krisen halt eine „Koste es, was es wolle“-Politik betrieben habe, was vielleicht sogar für größeres Verständnis gesorgt hätte, hat er die Unwahrheit gesagt: Es gebe keine Notwendigkeit für ein Sparpaket, lautet seine Botschaft. Das rächt sich.
Jetzt, Mitte Dezember, ahnt man erst das Ausmaß. Gut sechs Milliarden Euro müssen allein schon im kommenden Jahr eingespart werden. Das ist theoretisch möglich, es ist jedoch schwer vorstellbar, wie Nehammer das durchbringen könnte.
Es wird sehr unpopuläre Maßnahmen brauchen. Vollkommen egal, ob einnahmen- oder ausgabenseitige. Eine Abschaffung des Dieselprivilegs ist zum Beispiel eine ausgabenseitige Maßnahme, wird von Autofahrern aber als Steuererhöhung wahrgenommen: Sie müssen mehr zahlen, es bleibt ihnen weniger übrig.
Solche oder ganz anderen Maßnahmen werden ein Fest für Herbert Kickl und eine Katastrophe für die ohnehin schon angeschlagene niederösterreichische Volkspartei im Hinblick auf die nö. Gemeinderatswahlen Ende Jänner. Johanna Mikl-Leitner, ihre Chefin, hat daher schon ausdrücklich vor Steuererhöhungen gewarnt. Darüber will sich Nehammer hinwegsetzen können? Wird spannend.
Parallel dazu steigt der Druck für Babler, größere Vermögenssteuern durchzusetzen. Entsprechende Erwartungen hat er ja lange selbst befeuert. Beim nunmehrigen Volumen, das bei der Budgetsanierung besteht, ist es aus sozialdemokratischer Sicht jedoch zwingend notwendig. Es entspricht der Logik dieser Partei: Sie ist für einen starken Staat, nicht für einen schlanken. Auch größere Pensionsreformen sind daher tabu für sie.
Sie sind im Übrigen tabu für Hans Peter Doskozil, der (ebenfalls) Ende Jänner eine Landtagswahl zu schlagen hat. Gut, könnte man sagen, er ist ohnehin schon ein bekannter Gegner von Babler und den großkoalitionären Wienern in der Partei, er kann nichts mehr anrichten. Irrtum: Mit dem Unmut über ein allfälliges Sparpaket, das, sagen wir, zu weniger als einem Drittel einnahmenseitig ist, wird er in der Sozialdemokratie nicht allein sein. Hier geht es um eine grundsätzliche Frage für sie: Machen wir, was Bürgerliche wollen (ÖVP, Neos) oder bestehen wir auf einem Kompromiss, bei dem wir uns wiederfinden können. Das wird zum Beispiel auch den Kärntnern wichtig sein, die – Stand heute – bei der Landtagswahl 2028 um Platz eins und (wie die Burgenländer schon in wenigen Wochen) um den Landeshauptmann zittern müssen. Oder all den Leuten, die Babler für die SPÖ begeistert hat und denen er jetzt liefern muss.