Nach der Wahl wird’s kritischer

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ANALYSE. Herbert Kickl macht bereits Stimmung mit Blick auf die Regierungsbildung. Auch bei anderen Parteien ist man gut beraten, sich darauf vorzubereiten.

Herbert Kickl hat die Zumutung, wonach die stärkste Partei die Regierung zu führen und den Kanzler zu stellen habe, in der ersten „Elefantenrunde“ vor der Nationalratswahl vergrößert: Das sei der einzige Zugang „vernünftiger Demokraten“, behauptete er. Es soll also quasi alternativlos sein. Welch eine (bewusste) Fehldeutung.

Sie widerspricht der repräsentativen Demokratie mit Verhältniswahlrecht. Weil selbst die großen Parteien kaum weit über rund 25 Prozent der Mandate hinauskommen dürften beim bevorstehenden Urnengang, ist – wie hier schon angerissen – wenig gesagt in Bezug auf die Regierungsbildung. Das wird dann, salopp formuliert, ein eigenes Match.

Wichtiger: Kickl spielt diesbezüglich ein doppeltes Spiel. Einerseits vermittelt er mit Sprüchen wie „Euer Wille geschehe“ absolutistisch-kompromisslos agieren zu können als allfälliger „Volkskanzler“. Andererseits wird er letzten Endes aber nur dann den Funken einer Chance haben, Bundeskanzler zu werden, wenn er sich auf andere Parteien und deren Vorstellungen einlässt.

Insofern ist es nicht weit übertrieben, zu sagen, sein Wahlkampf sei auf Wählerbetrug angelegt. Im Vordergrund steht, die Leute zu mobilisieren, indem er ihnen etwas vormacht. Daneben geht es ihm aber auch darum, bereits Stimmung für die Zeit nach der Wahl zu machen.

Andere Parteien sollen ihn demnach bedingungslos als Kanzler zu akzeptieren haben, wenn er die FPÖ auf Platz eins führt. Für den Fall, dass es ein – im Hinblick auf eine notwendige Mehrheit im Hohen Haus – entscheidender Teil von ihnen nicht tut, hat er bereits eine andere Erzählung vorbereitet: Die „Systemparteien“ seien gegen das Volk. Das bestätige sich hier. Umso wichtiger sei die von ihm geforderte Ausweitung der direkten Demokratie. Dafür sei jetzt erst recht zu kämpfen.

Eine wesentliche Rolle wird bei der Regierungsbildung dem Bundespräsidenten, vor allem aber auch dem ÖVP-Obmann zukommen. Und zwar unabhängig davon, auf welchem Platz seine Partei bei der Wahl landet. Karl Nehammer schließt zwar eine Zusammenarbeit mit Kickl aus, es ist aber naiv zu glauben, dass er sich deswegen um jeden Preis auf eine Alternative wie Türkis-Rot-Grün oder -Pink einlassen wird.

Die Regierungsbildung 1999/2000 zeigt sogar, dass eine ÖVP, die besonders schlecht abschneidet bei einem Urnengang (damals Platz drei), besonders wenig Bereitschaft hat, sich auf ein Bündnis mit Sozialdemokraten einzulassen. Anders formuliert: Sie könnte sich eher gezwungen sehen, trotz allem mit Freiheitlichen zu koalieren, weil sie glaubt, nur so Wähler rechts der Mitte zurückgewinnen zu können.

Das sollte man auf der Rechnung haben. Zumindest wird sich auch die ÖVP nach der Wahl um einen Deutungshoheit bemühen. Ziel: Wenn schon Kickl nicht Kanzler werden soll und sie bereit ist, an einer Alternative mitzuwirken, dann muss das eine sein, bei der sie gewinnt. Dass es notwendig wäre für den Fortbestand einer liberalen, offenen Gesellschaft, der Vielfalt, Kunst, Kultur, Medien und Rechtsstaatlichkeit etwa wichtig sind, wird nebensächlich sein für sie.

Die ideale Dynamik aus ihrer Sicht wäre, dass von einer Mehrheit in Österreich – inklusive der ihr ohnehin schon dienenden Blätter „Heute“ und „Krone“ – anerkannt wird, dass sie bei ihrer Absage an Kickl bleibt, und dass dafür auch weitreichende Zugeständnisse insbesondere von Sozialdemokraten, Neos und oder Grünen erwartet werden. Womit Andreas Babler, Beate Meinl-Reisinger oder Werner Kogler unter Druck kommen würden. Es würde auf eine potenzielle Schwächung ihrer Verhandlungsposition hinauslaufen. Eine Koalition wegen einer inhaltlichen Frage – von Erbschaftsteuer (Babler) über Pensionsreform (Meinl-Reisinger) bis Dieselprivileg (Kogler) – scheitern zu lassen, wäre schwer bis unmöglich.

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