ANALYSE. Wolfgang Sobotka ist vor allem ein Vertreter der niederösterreichischen ÖVP, die ihrerseits die Bundespartei kontrolliert und einen Neubeginn torpediert.
Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) wird ein bisschen unrecht getan. Natürlich: Er hat die Verantwortung für seine Partei zu tragen, und er hat sich ausdrücklich hinter Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka (ÖVP) gestellt. Obwohl dieser nach Überzeugung vieler in seiner Funktion eine Zumutung ist, weil er nicht über jeden Verdacht erhaben ist und weil er kein Problembewusstsein zeigt. Die Aussage von Christian Pilnacek, er habe Druck gemacht, staatsanwaltliche Ermittlung abzudrehen, behandelt er so, als werde ihm lediglich unterstellt, einen schlechten Witz gemacht zu haben.
Was aber kann Nehammer schon machen? So deutlich ist noch nie geworden, wie wichtig es nach dem Abgang von Sebastian Kurz vor zwei Jahren eigentlich gewesen wäre, neu zu wählen. Zumal ein Vakuum entstanden ist, das zum Beispiel dadurch zum Ausdruck kommt, dass Nehammer – obwohl Bundeskanzler und ÖVP-Chef – ein bloßer Platzhalter ist. Er bekleidet seine Ämter nicht, weil eigene Leute große Hoffnungen ihn setzen, sondern weil es zum Machterhalt der Partei zumindest bis zur nächsten Nationalratswahl notwendig ist.
Gewicht entwickeln kann er wiederum nicht, weil er nicht einmal Aussicht auf einen Achtungserfolg bescheren kann. Das erhöht umgekehrt das Gewicht der mächtigsten Landesorganisation, der niederösterreichischen, mit Johanna Mikl-Leitner an der Spitze.
Das ist verhängnisvoll für die ÖVP und ganz Österreich: Würde Nehammer einen personellen Neustart wollen, müsste er zuerst Wolfgang Sobotka zum Abgang bewegen. Das kann er aber nicht, weil der 67-Jährige allenfalls müde lächeln würde, wenn er diesen Wunsch an ihn herantragen würde. Wenn das jemand könnte, dann Mikl-Leitner. Sobotka ist abgesandter der niederösterreichischen Volkspartei, er sitzt auf einem Landeslistenplatz im Hohen Haus.
Aber was kümmert das Johanna Mikl-Leitner? Sie müsste Sobotka wegloben und das wäre nicht einfach. Abgesehen davon sitzt er ja in Wien, damit er in St. Pölten nicht stört. Die Sache ist kompliziert.
Doch weiter: Ein Neustart geht sich für Nehammer im Übrigen nicht aus, weil er die Bundespartei verniederösterreichert hat. Innenminister Gerhard Karner steht ebenso dafür wie Verteidigungsministerin Klaudia Tanner, Generalsekretär Christian Stocker ebenso wie Kampagnenchef Bernhard Ebner: Lauter grob geschnitzte Politpersönlichkeiten aus dem weiten Land, die für eine Masse weniger überzeugend wirken mögen, aber halt Machtpolitik können.
Inhaltlich müsste sich Karl Nehammer zwischen einer Ausrichtung auf eine Mitte oder Rechtpopulismus entscheiden. Müsste. Es ist Theorie. Praktisch wird das durch Mikl-Leitner beantwortet. Er kann die Mitte vergessen, weil sie mit Udo Landbauer (FPÖ) koaliert und auch ein passendes Arbeitsprogramm festgelegt hat. Sie wissen schon: Fremdsprachenverbot auf Pausenhöfen etc. Und weil sie öffentlich überhaupt eher nur noch zwei Themen behandelt: Integrationsprobleme und Klimakleber. Da geht sich daneben nichts mehr aus. Schon gar nicht für Karl Nehammer.