ANALYSE. Die nö. Landeshauptfrau merkt den Machtverlust, sie ist mit selbstbewussten Sozialdemokraten konfrontiert und tendiert zunehmend zu den Freiheitlichen. Das ist auch für den Bund relevant.
2018 hat die niederösterreichische Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner (ÖVP) eine Zusammenarbeit mit den Freiheitlichen bzw. deren Spitzenkandidat Udo Landbauer ausgeschlossen. Anlass war die Liederbuchaffäre. Mikl-Leitner sagte damals: „Was die Person Landbauer betrifft, ist sein Verhalten kein Beitrag und keine Basis für eine Zusammenarbeit in der niederösterreichischen Landesregierung. Ich werde nicht dabei zusehen, wie durch einen sorglosen Umgang mit Antisemitismus und unserer Geschichte Ruf Niederösterreichs geschädigt wird, das als modernes Land der Offenheit und Toleranz bekannt ist. Das hat sich Niederösterreich nicht verdient.”
2023 hat Landbauer, künftig Mitglied der niederösterreichischen Landesregierung (dafür genügen aufgrund eines besonderen Proporzsystems die Stimmen freiheitlicher Abgeordneter), ausgeschlossen, Mikl-Leitner zur Landeshauptfrau zu wählen. Schlimmer für sie: Gottfried Waldhäusl wird wohl Landesrat bleiben. Mit seiner Aussage, dass Wien ohne Zugewanderte noch Wien wäre, hat er sich parteiintern einzementiert. Gemeinsam mit Landbauer steht er für Kickl’sche Politik, also Fundamentalopposition.
Bisher hat Johanna Mikl-Leitner derlei am Ende des Tages auf die leichte Schulter nehmen können. Die FPÖ war „nur“ eine 15-Prozent-Partei und sie selbst verfügte mit der ÖVP über eine absolute Mehrheit. Seit der Landtagswahl vom 29. Jänner und dem türkisen Absturz aber braucht Mikl-Leitner einen Partner.
Eigentlich scheint es aufgrund der bereits erwähnten Umstände nur die SPÖ sein zu können. Das weiß die SPÖ natürlich, die zwar ebenfalls verloren hat, nun aber unter Führung ihres Supertalents Sven Hergovich steht, der gerne auch schon als zukünftiger Bundesparteivorsitzender bezeichnet wird. Zunächst muss er freilich liefern. Er bemüht sich.
Das erkennt man daran, dass er sich im Unterschied zu seinen Tiroler Genossen, die das im vergangenen Herbst getan haben, nicht so mir nichts, dir nichts mit der ÖVP zusammentun möchte, um endlich wieder mitregieren zu können. Hergovich stellt Bedingungen. Fünf an der Zahl, von einer kostenlosen Ganztagsbetreuung in Kindergärten bis zu einem „Heiz-Preis-Stopp“ für alle. Klar: Sozialdemokratische Herzen lässt das höher schlagen, für Wirtschaftsliberal-Bürgerliche geht Letzteres entschieden zu weit.
Darum geht’s wohl auch: Hergovich versucht, sich als (designierter) SPÖ-NÖ-Chef zu behaupten. Das ist eine Art Gesellenprüfung für ihn, der erst vor wenigen Wochen (beruflich) in die Politik eingestiegen ist.
Damit setzt er Maßstäbe: Er reizt die ÖVP bis zum Geht-nicht-mehr. Entnervt stellt deren Verhandler für eine mögliche Zusammenarbeit auf Landesebene, Jochen Danninger, fest, Hergovich wolle „ganz bewusst unverrückbare Hürden aufbauen, um es sich dann in Opposition einzurichten“.
Andererseits könnte man es auch so sehen: Mikl-Leitner, für die Danninger spricht, tut sich schwer, Macht zu teilen. In St. Pölten ist das Neuland für sie. Sie tut sich noch schwerer, das mit denen zu tun, die in ihren Reihen gerne als Sozialisten bezeichnet werden.
Jedenfalls steht sie vor eine Richtungsentscheidung, mit der auch eine Signalwirkung für die Bundespolitik einhergehen wird: Strategisch macht es keinen Sinn für die ÖVP, mit der SPÖ zusammenzuarbeiten. Diese nimmt ihr keine Wähler weg, steht woanders (links von ihr). Strategisch muss sie ein Bündnis mit den Freiheitlichen suchen. Wie diese steht auch Mikl-Leitner rechts der Mitte. Das hat sie schon als Innenministerin gezeigt und zuletzt etwa durch ihr Engagement gegen Klimaaktivsten. Landbauer und Co. sind ihr dabei gefährlich: Jeder sechste ÖVP- bzw. Mikl-Leitner-Wähler aus dem Jahr 2018 ist vor sechs Wochen zur FPÖ gewechselt. Das hat ihren eigenen Absturz zu einem wesentlichen Teil erklärt.
Jetzt nähert sich Mikl-Leitner trotz allem, was bereits vorgefallen ist, den Freiheitlichen an. Geplant sind Verhandlungen auch mit diesen. Es entspricht der alten Schule, zu versuchen, sie so stark zu umarmen, dass sie wieder schwächer werden. In diese Richtung gehen Berichte über „gute Gespräche“, die parallel zu den türkis-roten bereits geführt worden sind.
Auf Bundeseben muss Karl Nehammer noch keine Koalitionsverhandlungen führen. Die Ausgangslage und die Perspektive ist jedoch nicht unähnlich: Die ÖVP steht rechts der Mitte und in einem Wähleraustauch mit der FPÖ. Nicht mit der SPÖ, mit der sie im Übrigen ohnehin nicht mehr warm wird und daher nur äußerst widerwillig koalieren würde.