ANALYSE. Jetzt scheint auch noch offenzubleiben, ob die Wahl zur Landeshauptfrau verfassungskonform war. Sei’s drum: Der Druck für die ÖVP, sich um eine Nachfolge zu kümmern, wächst.
Die niederösterreichische Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner (ÖVP) muss nicht befürchten, dass sich der Verfassungsgerichtshof mit der Frage beschäftigen wird, ob ihre Wahl zur Landeshauptfrau verfassungskonform war. Verfassungsrechtler Karl Stöger bezweifelt es, wie die Tageszeitung „Der Standard“ berichtet. Allerdings: Ein Verfahren müsste noch im Laufe dieser Woche in Gang gesetzt werden. Dazu nötig wäre die Unterschrift von sechs Landtagsabgeordneten. Neos wären bereit dazu, sie sind aber nur zu dritt. Sozialdemokraten fordern Klarheit, wollen sich aber auf keinen „juristischen Schlagabtausch“ einlassen. Grüne und Freiheitliche, geschweige denn Türkise, haben ebenfalls kein Interesse daran. Also bleibt Mikl-Leitner dem Zweifel ausgesetzt. Sie nimmt es seltsamerweise in Kauf, es ist ihr lieber so.
Sie hat den richtigen Zeitpunkt verpasst, sich zu verabschieden. Spätestens am Wahlabend Ende Jänner hätte es bei ihr klingeln müssen. Vorgänger Erwin Pröll, noch immer eine Autorität in der Landespartei, trat ihrer Erzählung entgegen, dass der Verlust von fast zehn Prozentpunkten und der absoluten Mandatsmehrheit so gar nicht hausgemacht sei.
Im Übrigen wollte er nicht mit ihr verglichen werden. Was insofern tief blicken lässt, als er sie einst ja ausgesucht hatte. Aber so ist das in der Politik: Freund, Feind, … In einem „Puls 24“-Interview erklärte Pröll zudem: „Wenn Sie Johanna Mikl-Leitner mit mir vergleichen, dann ist das zwar nett – aber ein derartiger Vergleich hinkt natürlich. Nummer 1 zu sein und Führungsfigur sein zu müssen, ist natürlich eine neue Herausforderung.“ Sie wird ihr seiner Einschätzung nach offenbar nicht gerecht.
Die 59-jährige führt die niederösterreichische Volkspartei, das jedoch mehr schlecht als recht. Erstens: Der jüngste Wahlkampf diente eher dem größten Mitbewerber, der FPÖ. Stichwort Mobilmachung gegen Klimakleber durch die mittlerweile „vergessene“ Forderung, diesen mit Haftstrafen zu drohen.
Zweitens: Mikl-Leitner brachte keinen Landeshauptfrau-Bonus zusammen. Ein solcher ist in den Ländern eher die Regel. Sie jedoch wäre bei einer Landeshauptfrau-Wahl auch nur auf 40 Prozent gekommen, wie eine SORA-Wahltagsbefragung für den ORF ergeben hat.
Drittens: Mikl-Leitner kann nicht taktieren. Könnte sie es, hätte sie die Koalitionsverhandlungen mit der SPÖ so deutlich in nächtelangen Runden eskalieren lassen, dass da und dort vielleicht ein bisschen Verständnis für ihre Entscheidung entstanden wäre, mit der extrem rechten FPÖ zusammenzugehen.
Viertens: Was sie mit der FPÖ vereinbart hat, ist bekannt, die „Kleine Zeitung“ bezeichnete es treffend als „zusammengeschustertes Anti-Erwin-Pröll-Papier“. Pröll kann man viel vorwerfen, nicht aber, dass er sich so gar nicht um Europa, Kunst, Kultur und Wissenschaft bemüht hätte. Jetzt ist vieles zerstört. Pröll selbst schweigt eisern dazu. Das ist auch eine Botschaft.
Fünftens: In Anlehnung an eine Minderheitsregierung könnte man bei Mikl-Leitner von einer Minderheitslandeshauptfrau sprechen. Nur 24 von 56 Landtagsabgeordneten haben sie am 23. März gewählt. Die Mehrheit würde bei 29 beginnen. Der sogenannte Bündnispartner FPÖ hat seine Mandatare angewiesen, ungültig zu wählen. Überzeugt ist er also nicht von ihr. Das ist keine Grundlage für eine Zusammenarbeit. Für Mikl-Leitner hat die Uhr als Landeshauptrau bereits zu ticken begonnen.
Sechstens: Der Pakt mit den extrem Rechten ist ein Tabubruch, der Bürgerlichen bzw. Schwarzen in der Volkspartei nicht recht ist. Er macht ihnen zu schaffen. Die Landeshauptleute von Salzburg und der Steiermark haben bereits offen gesagt, dass sie diesen Coronakurs und eine Deutschpflicht in Schulpausen ablehnen. In Vorarlberg und Tirol kann man sich denken, dass sie sich das ebenfalls denken.
Das alles führt dazu, dass die niederösterreichische ÖVP zwar nicht ihre bestimmende Stellung innerhalb der gesamten Volkspartei verliert, aber geschwächt ist. Und dass sie sich nicht einmal mehr sicher sein kann, ob Mikl-Leitner morgen noch als Landeshauptfrau tragbar ist: Eine Abwahl im Landtag erfordert zwar eine Zweidrittelmehrheit und ist daher nicht gegen die Partei möglich. Wenn die FPÖ das Bündnis mit ihr jedoch aufkündigt, dann kann sie nichts mehr zusammenbringen und sowohl in der Landesregierung als im Landtag bei diversen Fragestellungen überstimmt werden.
Größtes Problem für die türkise ÖVP, die sich in St. Pölten blau-gelb gibt: Mit Mikl-Leitner hat sie keine Perspektive mehr. Sie hat ihren Ruf durch diesen Pakt mit der FPÖ ruiniert. Und sie hat (wie erwähnt) so durchwachsene Persönlichkeitswerte, dass es zu riskant wäre, zu pokern und auf eine Neuwahl oder halt einen Erfolg bei der Landtagswahl in fünf Jahren zusetzen. Das spricht für die Partei dafür, sich mittelfristig um eine Nachfolge zu kümmern.
1 Comment