ANALYSE. Während Kickl aus gutem Grund nervös wird, findet die Neos-Chefin Gelegenheit, sich Anerkennung zu verschaffen.
FPÖ-Chef Hebert Kickl wird nervös. Umfragen hin, Umfragen her, wie’s derzeit läuft, kann ihm nicht gefallen: Es gibt keinen großen Aufreger wie die Coronaimpfung, und auch die Inflation ist zwar noch immer hoch, aber nicht mehr so hoch wie vor zwei, drei Jahren. Beides hat ihm geholfen, Stimmung zu machen und Stimmen zu gewinnen.
Schlimmer für ihn: Es ist schwer geworden, sich an jemandem zu reiben. Bundeskanzler Christian Stocker (ÖVP) wirkt wie der Onkel der Nation, Vizekanzler Andreas Babler (SPÖ) übt sich in Zurückhaltung. Dazu passend vielleicht auch die Art und Weise, wie Klaus Webhofer die ORF-Sommergespräche anlegt: Er stellt einfach Fragen, in der Regel Sachfragen. Maximal reduziert.
Alles in allem eine Katastrophe aus Kickls Sicht: Er lebt von Polarisierung. Er braucht ein Gegenüber, an dem er sich zum Wohlgefallen seiner Anhängerschaft abarbeiten kann. Ob an Regierenden oder an Journalisten. Bei einem Christian Stocker oder einem Klaus Webhofer ist das jedoch schwer.
Also versucht er es anders. Lässt über ORF-Stiftungsrat Peter Westenthaler zu einem Skandal erklären, dass das Sozialforschungsinstitut „Foresight“ Umfrageergebnisse zu den Sommergesprächen beisteuert. Das sei „dreist“, so Westenthaler, das Institut sei „SPÖ-nah“. Woher: Es bezieht sich darauf, dass ein damaliger Geschäftsführer des Vorgängerinstituts SORA die Sozialdemokratie beraten wollte. Was bekannt wurde und dazu führte, dass er sich zurückzog und dass aus SORA „Foresight“ wurde. Das ist das Institut, das etwa weiterhin die hochwertigen Wahltagsbefragungen sowie Wählerstromanalysen liefert, die je nach Ergebnis allen Parteien gefallen oder auch missfallen können. Insofern lässt das, was Kickl jetzt ausführen lässt, tief blicken. Er ist eben nervös und sieht sich gezwungen, seltsame Dinge zu konstruieren.
Kein Wunder: In der österreichischen Politik ist gerade einiges anders. Es ist Teil der Erklärung, dass sich Neos unter Führung von Außenministerin Beate Meinl-Reisinger als Regierungspartei so gut halten können. Wären sie in Opposition, würden sie vieles zerpflücken, hätten geschlossen gegen das Budget und den Bundestrojaner gestimmt, würden mehr denn je eine größere Pensionsreform verlangen und so weiter und so fort.
Das können sie jetzt nicht tun. Und daraus macht Meinl-Reisinger eine Stärke, wenn sie erklärt, dass man es sich nicht leicht, sondern schwer mache. Sie weiß, dass umso mehr goutiert wird, dass Neos Verantwortung tragen; dass sie einen Beitrag zu einer Dreiparteienkoalition leisten, in der nicht gestritten, sondern unauffällig gearbeitet wird. Mehr und mehr zeigt sich, dass das ganz im Sinne sehr vieler Menschen ist, die nicht nur froh sind, dass Kickl nicht Kanzler geworden ist, sondern dass endlich keine zwanghaften Selbstdarsteller mehr am Werk sind, die tagein, tagaus nur auf „Messages“ und Inszenierungen aus sind.
Wie bei Finanzminister Markus Marterbauer (SPÖ) bekannt ist, dass er für eine Vermögenssteuer wäre, aber alle, die eine solche wollen, verstehen, dass er eine solche nicht durchsetzen kann, ist es bei ihnen in Bezug auf eine Pensionsreform etwa. Es ist ein Phänomen. Es bring ihnen eher sogar noch Punkte, wenn sie sagen, dass sie gerne mehr verändern würden, aber zur Kenntnis nehmen müssten, dass das mit ÖVP und SPÖ nicht gehe. Als unterstreiche das ihr Verantwortungsbewusstsein.
Außerdem: Meinl-Reisinger und Christoph Wiederkehr (Bildung) haben als Regierungsmitglieder bisher weder Pleiten noch Pannen geliefert. Sie lenken den Fokus stattdessen auf das vieldiskutierte Thema Integration und kündigen eine verpflichtende Sommerschule zur Verbesserung von Deutschkenntnissen an. Sie, Meinl-Resiniger, findet zudem Gelegenheit, sich in europa- und sicherheitspolitischen Fragen zu profilieren.
Dass sich Boulevardmedien auf „ihren“ Staatssekretär Sepp Schellhorn eingeschossen haben, schadet ihnen nicht. Für Notwendiges hat er sich entschuldigt (den unsäglichen Vergleich von Pöbelei gegen ihn mit Verhältnissen wie in der NS-Zeit von 85 Jahren), im Übrigen war das Ganze zu durchschaubar. Er sollte einfach niedergemacht werden.
Das alles muss aber nicht bleiben, wie es ist. Allein schon wegen des Faktors Zeit: Neos werden nicht ewig als frische Kraft geschätzt werden, die gerne mehr verändern würde, aber nicht kann. Gerade wenn, wie bei der Budgetsanierung, weitere Maßnahmen notwendig werden, wird es zunehmend wichtig für sie, was inhaltlich herauskommt.