Mehr als man glauben könnte

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ANALYSE. Bei der Wien-Wahl geht es nach einem unspektakulären Wahlkampf für alle Parteien um sehr viel. Und zwar auch auf Bundesebene.

Die „Krone“ hat schon geschrieben, dass die SPÖ von Bürgermeister Michael Ludwig als große Siegerin aus der Gemeinderatswahl am kommenden Sonntag hervorgehen werde. Das ist möglich, aber nicht sicher. Zu einer Umfrage, die „Heute“ vor Ostern durchführen ließ, gibt es auch Rohdaten. Demnach hielt die Partei damals 29 Prozent. „Hochgeschätzt“ wurden ihr 36 bis 42 Prozent ausgewiesen. Das sollte man beim letztlich veröffentlichten Wert von 39 Prozent nicht vergessen.

36 Prozent wären eine Katastrophe für die SPÖ, 42 Prozent gut. Im ersten Fall würde sich eine Krise der Partei verstärken, im zweiten wäre klargestellt, dass nicht nur Hans Peter Doskozil passable Wahlergebnisse erzielen kann, sondern auch Michael Ludwig. Es wäre wichtig für die Partei, um sich wenigstens im urbanen Raum als klare Nummer eins zu behaupten. Zumal sie sonst nicht mehr viel hat.

Ludwig pokert hoch: Er versucht auch Wähler zu umwerben, die rechts der Mitte stehen, oder auch türkischstämmige Erdogan-Anhänger. Er lässt offen, ob es nach der Wahl Rot-Schwarz, Rot-Grün oder Rot-Pink geben wird (sofern es sich ausgeht). Das ist riskant. Sein Glück ist jedoch, dass es von niemandem groß thematisiert wird. Insbesondere für Grüne wäre es aufgelegt: Sie könnte unter diesen Umständen linke Sozialdemokraten gewinnen, die eine Koalition der SPÖ mit der in Wien extrem rechtspopulistisch agierenden ÖVP ablehnen.

Die Grünen bräuchten bei diesem Urnengang ebenfalls einen Erfolg. Sie rennen seit geraumer Zeit von Wahlniederlage zu Wahlniederlage. Jetzt in Wien bei deutlich weniger Prozent zu landen als vor fünf Jahren (14,8) und am Ende auch noch in Opposition bleiben zu müssen, wäre auch für die (wohl) künftige Bundesparteichefin Leonore Gewessler ein Problem: Sie, die in der Politik bisher nur Regieren kennt, würde eine Partei führen, die (außerhalb des Burgenlands) nirgends mehr regiert; die nirgends aufzeigen (im Sinne von gestalten) kann; die damit zu kämpfen hat, dass es vor lauter Krisen grundsätzlich schwieriger geworden ist, mit der Klimakrise durchzukommen.

Die ÖVP wiederum lebt in Wien noch in der Vergangenheit. Sie versucht sich ohne Sebastian Kurz wie zu Sebastian Kurz-Zeit auszurichten. Stellt Wien als „Messermetropole“ mit lauter gefährlichen Fremden dar. Prozentuell könnte sie an diesem Sonntag am stärksten einbrechen. Es wird einerseits aber kaum auffallen, weil es erwartbar ist. Und es wird andererseits auch egal sein: Weil sie die Partei sein wird, die für die SPÖ als Partnerin am billigsten zu haben ist, kann sie sich nach langen Jahren auf der Oppositionsbank sogar Chancen auf eine Regierungsbeteiligung ausrechnen.

Bloß: Für die Volkspartei, für Christian Stocker wird eine Riesenherausforderung bleiben: Eine Neuaufstellung ist unausweichlich. Und dazu wird auch gehören, Angebote für Wähler in den Städten zu entwickeln, die sich von denen der Freiheitlichen genauso unterscheiden wie von denen der Neos.

Die Neos entwickeln sich zur Partei einer bürgerlichen Mitte in urbanen Räumen. Wobei: Mit mäßig bekannten Kandidatinnen wie in Wien, nachdem Christoph Wiederkehr von der Stadt- in die Bundespolitik gewechselt ist, um Bildungsminister sein zu können? Die eingangs erwähnte Umfrage liefert keinen Hinweis darauf, dass Neos deswegen von Wählern abgestraft werden könnten. In den Rohdaten liegen sie in etwa beim Ergebnis, das sie 2020 erzielt haben. Das spricht dafür, dass ihre Wähler vorerst eher goutieren, dass sie durch Wiederkehr und Außenministerin Beate Meinl-Reisinger Regierungsverantwortung übernommen haben.

Und schließlich die FPÖ: Herbert Kickl kann weniger entspannt sein als bei all den Urnengängen seit der EU-Wahl vor bald einem Jahr. Da gab es ein historisches Spitzenergebnis nach dem anderen für seine Partei. Das wird in Wien mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht der Fall sein. Ausgehend von mageren sieben Prozent ist eine Verdreifachung möglich, damit wäre sie aber noch immer um gut zehn Prozentpunkte unter ihrem besten Ergebnis bisher (31 Prozent 2015).

Es wäre ein Dämpfer für Kickl, zumal es deutlich unterstreichen würde, dass die FPÖ selbstverständlich bei weitem nicht das ist für die Wähler, was er vorgibt: alternativlos. Ja, wenn die SPÖ um die 40 Prozent erreichen würde, wäre sogar klargestellt, dass ein deutliche relative Mehrheit noch immer für eine andere Partei zu haben ist. Zwar „nur“ in einer Stadt wie Wien – da leben aber nach wie vor so viele Wähler, dass es Kickl wehtun würde.

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