ANALYSE. Der ÖVP-Multifunktionär hält die Öffentlichkeit in einer brisanten Frage für dumm – und muss nicht zurücktreten. Das sagt was über das Selbstverständnis einer Partei und ihrer Funktionäre.
Anfang Juni 2020 stand Österreich ganz im Zeichen der Coronakrise. Auch wirtschaftlich: Es war zum größten Einbruch seit vielen Jahrzehnten gekommen. Trotz staatlicher Hilfen unter dem Motto „Koste es, was es wolle“ standen viele Menschen ohne Job da, wussten Unternehmer nicht, wie es weitergehen wird. Da präsentierte sich der Präsident der Wirtschaftskammer, Harald Mahrer (ÖVP), mit einer Magnumflasche eines steirischen Weinguts in einem Hochglanzmagazin, um dazu aufzurufen, wieder Lust zu entwickeln – „Lust aufs Leben!“ Ja, er rief dazu auf, wieder zu „genießen“.
Seither ist einer breiteren Öffentlichkeit bekannt, dass der Mann kein Gespür dafür hat, was angemessen ist bzw. ein Talent dafür hat, Menschen vor den Kopf zu stoßen. Devise: Wenn ihr kein Brot mehr habt, esst Kuchen! Jetzt weiß man, dass er auch zu denen zählt, die unmittelbar Verantwortung dafür tragen, dass das Vertrauen in Politik im Keller ist.
Es war erst im September, als sich der 52-Jährige hocherfreut zeigte über den Metallerabschluss von weniger als zwei Prozent. Das sei ein „wichtiger Schritt, um die Teuerungsspirale zu durchbrechen und die Inflation langfristig zu senken“, sagte er. Umso bemerkenswerter, dass er Wirtschaftskammer-Mitarbeitern wenig später viel mehr gönnen wollte.
Dass er vergangene Woche erst nach Bekanntwerden einer Gehaltserhöhung um 4,2 Prozent mit dem kommenden Jahr merkte, dass das ein katastrophales Signal ist. Dass er dann aber die Leute für dumm verkaufte, in dem er zunächst den Eindruck zuließ, es werde nur 2,1 Prozent mehr geben. Woher: Mit Jänner gibt es keine Erhöhung, dafür aber mit Juli die 4,2 Prozent, die dann auch für alle weiteren Erhöhungen in den Folgejahren maßgebend sein werden.
Es gibt Medien, die fanden es schließlich lobenswert, dass Mahrer hinterher bedauernd erklärte, er habe einen Fehler gemacht. Der „Kurier“ zum Beispiel bemerkte das in einem Morgen-Newsletter entsprechend. In Wirklichkeit ist Mahrer Selbstverständliches schuldig geblieben: Er hat nicht eingestanden, zunächst ein katastrophales Signal zugelassen und dann Unsinn kommuniziert zu haben, hat nicht Verantwortung übernommen und ist nicht zurückgetreten. Wozu auch? Es gab Kritik aus den eigenen Reihen, das aber war’s dann auch schon.
Nebenbei hat Mahrer in all den Tagen erst auf öffentlichen Druck hin Transparenz auch zu eigenen Einkünften geschaffen. Gestanden, dass er als Nationalbankpräsident, der er seit 2018 nebenbei ist, seit seiner Wiederbestellung 2023 nicht mehr auf eine Funktionsentschädigung verzichtet, weil er gemerkt haben will, dass da doch mehr zu tun ist. Dass er sich auch als ÖVP-Wirtschaftsbundpräsident entschädigen lässt und in Summe auf 28.500 Euro im Monat kommt.
Viel? Hier geht es nicht um Managergehälter, sondern um Bezüge wie bei Politikern, bei denen es einerseits darum geht, Leistung und Verantwortung zu würdigen, andererseits aber immer auch eine Rolle spielt, dass es sich um nicht auf Gewinn ausgerichtete Tätigkeiten im Sinne des Gemeinwesens handeln sollte. Insofern sind 28.500 Euro zu viel, zumal Mahrer wie erwähnt ja nicht einmal bereit ist, seiner Verantwortung gerecht zu werden.
Der Mann bringt etwas zum Ausdruck, was auch bei ÖVP-Klubobmann August Wöginger der Fall und kein Zufall ist: In der Volkspartei gibt es eine Tendenz dazu, sich alles zu erlauben. Auch Dinge, die schlicht und ergreifend nicht gehen: Erwiesene Korruption in Form von Postenschacher (Wöginger)? Ja mei. Dass die Partei und das Ansehen von Politikern damit weiter Schaden nehmen? Ja mei.
Es wird schlicht hingenommen, weil, wie hier ausgeführt, die Mahrers und Wögingers und wie sie alle heißen, der Überzeugung sind, dass ihnen nichts passieren kann.
Dass der ÖVP-Wirtschaftsbund über die Wirtschaftskammer immer sehr mächtig bleiben wird und dass die ÖVP eine „Scharnierpartei“ (Anton Pelinka) ist, auf die es immer ankommt bei Regierungsbildungen; dass sie es heuer als Zweite geschafft hat, den Kanzler zu stellen und 2000 sogar als Dritte; dass sie jederzeit mit der FPÖ koalieren könnte (laut Stocker hätte sie das zuletzt „wahrscheinlich“ trotz Herbert Kickl getan, wenn ihr dieser das Innenministerium überlassen hätte) und dass andererseits SPÖ, Neos und oder Grüne nur mitregieren können, wenn sie es zulässt – womit eine überzogene Selbstgewissheit einhergeht, die auf Dauer weder ihr selbst noch den politischen Verhältnissen guttun; im Gegenteil.