ANALYSE. Der Parteitag der Wiener SPÖ hat deutlich gemacht, wie strukturkonservativ ist, was vielen als Zukunftshoffnung gilt.
Was bleibt vom Parteitag der Wiener SPÖ? Medial vor allem der „Sager“ des Donaustädter Bezirksvorstehers Ernst Nevrivy. Der Mann ist für den Bau des Lobautunnels sowie einer Straße in seinem Bezirk („Stadtstraße“). Und er bemühte sich nun, die Delegierten vor zwei Gegen-Anträgen zu warnen bzw. Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ), der die Projekte unterstützt, den Rücken zu stärken. Zitat: „Hier geht es bei den beiden Anträgen darum, zu zeigen, ob wir als Sozialdemokratie in dieser Frage geschlossen sind, ob wir hinter der Stadtregierung stehen, die die Entscheidung getroffen hat und ob wir hinter unserem Bürgermeister stehen, der wochen- und monatelang von den Grünen und den ganzen anderen Heisln beleidigt und beschuldigt wird.“
Der erste Teil des Zitats kann als Versuch gewertet werden, die Delegierten in Geiselhaft zu nehmen. Motto: Bist Du für unseren Parteivorsitzenden, musst Du für die Bauprojekte sein. Das ist alte Schule. Der zweite Teil enthält den Begriff „Heisln“: Er steht sowohl für „Haus“ als auch für „Toilette“, aber auch für etwas ganz anderes; nämlich einen ungeliebten Menschen bzw. das, was Nevrivy hier gemeint hat.
Dumm für die Sozialdemokratie: Der Bezirksvorsteher lieferte eine Kampfansage an Klimaschützer; das kann sie insgeheim sogar freuen. Und Ludwig schien es vom Gesichtsausdruck her zu gefallen; seine Reaktion wurde gefilmt, er habe wie ein verschmitzter Schulbub gekichert, so der „Standard“. Das bleibt. Und das kann der Sozialdemokratie nicht egal sein. Oder doch?
Weh müsste es ihr tun, wenn das zutreffen würde, was Michael Ludwig von sehr vielen Menschen zugeschrieben wird. Gerade in der Pandemie hat er sich den Ruf erworben, für eine erfolgreiche Sozialdemokratie auf der Höhe der Zeit zu stehen. Wobei das insofern daneben war, als ein harter Corona-Maßnahmen-Kurs nicht unbedingt sozialdemokratisch ist. Eher stand allenfalls die Organisation von „Alles gurgelt“-Testungen sowie Impfungen für eine solche; beides entsprach einer starken Stadt, um nicht klischeehaft zu sagen, dem roten Wien.
Sehr wahrscheinlich tut es ihr aber nicht weh, sich mit Klimaschützern angelegt zu haben. Die Partei verfolgt gerade auch unter Ludwig einen schlicht strukturkonservativ-mehrheitsfähigen Kurs. Das hat Ludwig in seiner Parteitagsrede selbst zum Ausdruck gebracht. Bei der Stadtstraße gehe es um ein Symbol, erklärte er: „Ich bin (aber) nicht für Symbole, sondern die Wiener Bevölkerung zuständig.“ Und was den Vorwurf angeht, Betonpolitik zu betreiben, erwiderte er, wenn man Arbeltsplätze, Kindergärten und Wohnraum schaffen wolle, brauche man Beton dazu. Punkt.
Die Stadtstraße ist wirklich ein Symbol. Es gibt nicht nur Argumente gegen, sondern auch sehr viele für dieses Bauvorhaben inmitten eines rasant wachsenden Entwicklungsgebietes. Eine kleine, hochpolitische Jugend verbeißt sich jedoch leidenschaftlich daran. Einer großen Partei wie der SPÖ wird das bei Wahlen morgen nicht schaden. Sie könnte diese Bewegung trotzdem ernst nehmen, weil sie wachsen könnte und weil politische Talente daraus entstehen könnten. Davon hat sie selbst nicht viele. Ludwig und Genossen pfeifen jedoch darauf. Ja, sie haben diese Bewegung nun sogar noch stärker gemacht.
Zweitens: Augenzwinkernd, aber doch, gibt der Bürgermeister zu verstehen, sogar stolz darauf zu sein, Betonpolitik zu liefern. So wie er es tut, weiß er, einer Masse das Wort zu reden. Mit Entlastungs-, Schnell- und anderen -straßen kann man noch immer Wahlen gewinnen. Programm für die Zukunft ist das jedoch keines. Es zeugt vielmehr von einer gewissen Anspruchslosigkeit, alte Politik fortzusetzen, die mehrheitsfähig ist – und sich um keine Perspektiven zu bemühen, die etwa Individualverkehr und Klimaschutz für eine Welt von morgen vereint, und die daher mehrheitsfähig werden sollte.
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