ANALYSE. Für Teile der ÖVP hat der Ex-Chef vor dreieinhalb Jahren offenbar wirklich nur wegen der WKStA zur Seite treten müssen.
Für die „Kronen Zeitung“ ist es eine „neue Blamage der Korruptionsjäger“, für „Heute“ die „nächste Blamage für die WKStA“. Als wär’s ein Spiel. Dabei entspricht es nur einem Spin, einer türkisen Erzählung, wonach ein Match zwischen der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) gegen Ex-Kanzler und ÖVP-Chef Sebastian Kurz laufe, das dieser in der jüngsten Runde für sich entscheiden konnte: Im Unterschied zu seinem früheren Kabinettschef Bernhard Bonelli ist er in einem Verfahren wegen Falschaussage vor einem parlamentarischen Untersuchungsausschuss freigesprochen worden. Die Anklage war der Überzeugung gewesen, er habe den Eindruck erwecken wollen, mit der Besetzung des Aufsichtsrats der Staatsholding ÖBAG im Wesentlichen nichts zu tun gehabt zu haben. In erster Instanz war Kurz deswegen verurteilt worden, das Oberlandesgericht Wien hob dieses Urteil nun auf, weil der objektive Tatbestand (Vorsatz zur Falschaussage) nicht erfüllt gewesen sei – wiewohl es von einer Involvierung, die von Kurz stets dementiert wurde, überzeugt ist.
Die WKStA, der erstinstanzliche Richter und der Richtersenat der zweiten Instanz bejahten durchgängig eine Involvierung von Sebastian Kurz in die Bestellung der Aufsichtsräte der ÖBAG.
Der einzige, der das in den vergangenen Jahren bestritten hatte, war Sebastian Kurz.
— Martin Thür (@martinthuer.at) 26. Mai 2025 um 20:44
Das Ganze ist kein Match, es geht alles seinen Weg im Sinne des Rechtsstaates. Wobei: „Der heutige Freispruch für Sebastian Kurz zeigt: Der Rechtsstaat funktioniert!“, schreibt ÖVP-Verfassungssprecher Wolfgang Gerstl in einer Aussendung. Man will gar nicht wissen, was er geschrieben hätte, wenn das Oberlandesgericht Wien zu einem anderen Ergebnis gekommen wäre. Gerstl erweckt den Eindruck, dass der Rechtsstaat nur funktioniert, wenn er liefert, was ihm und seinesgleichen gefällt.
Das entspricht diesem Match-Niveau, das für die kommenden Wochen und Monate im Zusammenhang mit der Inseratenaffäre und in Bezug auf Sebastian Kurz dabei ebenfalls zu befürchten ist: Es ist ein Hinweis darauf, dass in Österreich etwas Grundlegendes genau nicht funktioniert, um bei dieser Begrifflichkeit zu bleiben.
Es wird nicht unterschieden zwischen rechtlicher und politischer Verantwortung. Es wird so getan, als habe Kurz vor dreieinhalb Jahren ausschließlich gehen müssen, weil ihn die WKStA belastet habe. Insofern muss man befürchten, dass Leute wie Gerstl, aber auch der heutige ÖVP-Chef und Kanzler Christian Stocker finden, dass er damals wirklich nur „zur Seite“ getreten ist, wie er sagte.
Dabei reicht, dass Sebastian Kurz politisch untragbar geworden ist; ist schon zu viel, dass die Volkspartei unter seiner Führung zum Beispiel das Finanzministerium „Parteiarbeit machen ließ“, wie die „Kleine Zeitung“ titelte und schrieb. „Ex-Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) ist ein „hinterfotziger Pfau“ oder ein „süßes“ Eichhörnchen, die SPÖ „Mutter oder Großmutter“ der österreichischen Parteienfamilie und die FPÖ ein „billiges Auto“. Seit Mittwoch sind einige der Studien, die Sabine Beinschab für das Finanzministerium durchgeführt hat, online abrufbar. Abseits der Tiervergleiche zeigt sich vor allem in der „Studie Wirtschafts- und Budgetpolitik inklusive Erweiterungen“ deutlich, dass die Volkspartei mit Geld des Ministeriums auf den kommenden Wahlkampf vorbereitet wurde.“
Es reicht politisch, was Kurz in diversen Chats von sich gab. Etwa, als er vor bald zehn Jahren anbot, ein Bundesland gegen den Ausbau der Nachmittagsbetreuung an Schulen aufzuhetzen. Oder als er vor sechs Jahren forderte, einem Kirchenvertreter „Vollgas“ zu geben. Und so weiter und so fort. Abgesehen davon war die „Patientenmilliarde“ ebenso wie die Schließung der Mittelmeerroute für Flüchtlinge nur ein Gag, wurden Förderungen unter Kurz entgegen aller Ankündigungen nie gekürzt, sondern weiter erhöht, wurde die „Koste es, was es wolle“-Politik begonnen.
Der Punkt ist, dass der ÖVP all das eben nicht reicht. Dass insbesondere niederösterreichische Teile von ihr um Johanna Mikl-Leitner heuer im Jänner wollten, dass er in die Politik zurückkehrt. Was insofern logisch ist, als nach ihrem Verständnis ja „nur“ die WKStA ein Problem mit Kurz hat und dieses Match gegen ihn betreibt.
Dabei ist allein in den vergangenen Monaten so viel mehr dazugekommen: Stocker legt Wert darauf, sich aus staatspolitischer Verantwortung auf keine Koalition mit einem Kanzler Kickl eingelassen zu haben. Kurz bedauerte das Nicht-Zustandekommen von Blau-Schwarz jedoch: „Eine Mitte-rechts-Regierung hätte dem Land in Fragen wie Migration oder Standort sicherlich gut getan“, meine er.
Es war umso bemerkenswerter, als zu diesem Zeitpunkt längst offenkundig war, wie sehr sich Österreich unter Kickl aus der europäischen Integration zurückziehen würde und wie sehr es sich nicht nur Wladimir Putin einerseits, sondern auch Donald Trump andererseits annähern würde. Wobei: Von Trump ist Kurz ebenfalls angetan. Da ist er wie Kickl.