ANALYSE. Männer, die nicht abschließen können und sich zu einer Belastung für ihre Partei entwickeln: Ein Phänomen der Zeit.
„Es ist vorbei“, hat Matthias Strolz Sebastian Kurz im Herbst 2021 wissen lassen, nachdem dieser „zur Seite getreten“ war und damit auch schon zum Ausdruck gebracht hatte, dass er persönlich exakt gar nicht abgeschlossen hat mit der Politik. Bis heute ist das so. Allein schon, dass der ehemalige Kanzler und ÖVP-Chef gefühlt täglich auf Einladung von „Heute“ Politisches kommentiert, bringt das zum Ausdruck: Es ist ein Bruch mit der alten Schule, wonach sich der „Ex“ zurückzieht und zu Dingen, die seine Nachfolger betreffen, schweigt. Selbst Erwin Pröll, dieser Alpha-Mensch, bringt das zusammen. Aber Kurz? Woher!
Er ist nicht der einzige, es scheint ein Phänomen der Zeit zu sein: „Ehemalige“ wirken, als wären sie wie zu Amtszeiten froh über jedes Mikrofon, das ihnen entgegengenhalten wird; als wären sie dankbar über jede Gelegenheit, sich öffentlich äußern zu dürfen.
Selbst wenn sie sich nichts dabei denken, werden sie damit zu einer Belastung für ihre Nachfolger: Sebastian Kurz für Karl Nehammer und jetzt Christian Stocker; Christian Kern für Pamela Rendi-Wagner und jetzt Andreas Babler; Matthias Strolz für Beate Meinl-Reisinger.
Zumal die drei über unterschiedliche, aber herausragende Fähigkeiten verfügen. Sebastian Kurz ist der bisher letzte ÖVP-Spitzenpolitiker, der Massen begeistern und der Partei große Wahlerfolge bescheren konnte. Um das Wie und das Womit geht es hier nicht. Der Punkt ist, dass Nehammer und Stocker vergleichbares nicht können oder nicht können dürften, sodass Kurz noch immer als der Checker dasteht für einen Teil der schwarzen Funktionäre – und er mit jedem Auftritt automatisch auch Unruhe stiftet. Man glaubt, spüren zu können, dass ihm das gefällt: Wer will nicht bewundert, ja begehrt werden?
Christian Kern (SPÖ) hat ebenfalls nicht abgeschlossen mit der Politik. Vor allem nach der jüngsten Nationalratswahl gab er Interviews in Serie. Schon zuvor hatte er sich Hans Peter Doskozil angenähert und sich damit auch gegen Andreas Babler gestellt.
Kern wäre vielleicht einer von ganz wenigen Sozialdemokraten, die das Zeug hätten, die Partei auf Platz eins zu führen bei einer Nationalratswahl. Wenn er sich nur selbst nicht im Weg stehen würde. 2018 hat er hingeschmissen, im Abgang aber gemeint, sich noch als EU-Wahl-Kandidat fixieren zu können. Abgesehen davon, dass ihm „die Wiener“ um Michael Ludwig distanziert gegenüberstehen, stellt sich die Comeback-Frage vor diesem Hintergrund nicht: Zu viele Genossen haben das nicht vergessen.
Und jetzt Matthias Strolz (Neos): Ein Mann voller Tatendrang und Energie, der es geschafft hat, nicht nur eine neue Partei zu gründen, sondern auch zu etablieren. Der alles gegeben und sich 2018 aus der aktiven Politik zurückgezogen hat. Formell zumindest. Irgendwie ist er geblieben.
Wenige Tage vor der der Nationalratswahl im vergangenen September erklärte er, seine Neos-Mitgliedschaft zurückgelegt zu haben. Zuvor hatte er sich (laut ORF.AT von damals) als künftiger Bildungsminister in Stellung gebracht, seine Nachfolger:innen um Beate Meinl-Reisinger hatten das aber nicht freudig kommentiert. Daher wirkte sein Austritt wie eine Strafe. Er wolle sich aus der Parteipolitik zurückziehen und sich überparteilichen Friedensprojekten widmen, sagte er.
Diese Woche hat sich Strolz nichtsdestotrotz wieder angeboten, Bildungsminister zu werden: „Meine Bereitschaft ist weiterhin aufrecht“, betonte er: „Entscheiden muss die Parteiführung.“ Schier undenkbar in Anbetracht der Vorgeschichte, dass Meinl-Reisinger annimmt. Wenn, dann könnte sie ihm gleich auch den Vorsitz zurückgeben.