ANALYSE. Seit Wochen berichten zu viele Medien wiederholt nur darüber, dass die Entscheidung über eine Anklageerhebung unmittelbar bevorstehe. Das hilft dem Ex-Kanzler.
Natürlich hat Sebastian Kurz die Politik noch nicht aufgegeben. Auf Facebook zum Beispiel betreibt er gegenüber 966.314 Followerinnen und Followern regelmäßig Imagepflege, wünscht Müttern alles Gute zum Muttertag, veröffentlicht Familienbilder, teilt gerne Meldungen, die die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) weniger gut ausschauen lassen sollen und verbreitet vor allem auch Meldungen der Seite „Exxpress“, die seinem Rechtspopulismus entspricht und für die er noch immer der wahre Kanzler ist.
Seit geraumer Zeit ist auch wieder mehr über Sebastian Kurz zu lesen. Zu viele Medien tun ihm den Gallen, täglich zu berichten, dass die Entscheidung über eine Anklageerhebung gegen ihn unmittelbar bevorstehe. Jetzt hat der Weisungsrat zwar keine Einwände in Bezug auf den 36-Jährigen gehabt, es seien aber „noch rechtliche Erwägungen zu einer weiteren vom Vorhaben umfassten Person zu klären“, wie es heißt (vgl. Bericht auf ORF.AT). Wieder keine offizielle Entscheidung also. Und zum Zeithorizont gibt es keine Auskunft. Fortsetzungen werden also morgen, übermorgen und vielleicht auch überübermorgen folgen.
Sebastian Kurz, der mit einer Anklage rechnet, wird das freuen. Und zwar doppelt. Auf Puls24.at heißt es aus „seiner Umgebung“ (eine Floskel übrigens, die sich gefühlt in jedem zweiten Bericht über den Mann findet): „Wir freuen uns, wenn nun endlich die Wahrheit ans Licht kommt und sich die Anschuldigungen vor Gericht als haltlos herausstellen.“ Das darf er jetzt wiederholt feststellen lassen. Bis es sitzt.
Im Übrigen darf er sich darüber freuen, zu „Bald ist es soweit“-Berichten immer wieder Kommentare wie diesen beisteuern zu dürfen: „Mittlerweile hat es fast schon Tradition in Österreich, dass Medienvertreter vor den Betroffenen über Verfahrensschritte informiert sind. Es wäre für uns jedenfalls wenig überraschend, wenn die WKStA trotz 30 entlastender Zeugenaussagen dennoch entschieden hätte, einen Strafantrag zu stellen.“
Das hält ihn im Gespräch, hilft ihm, seiner Anhängerschaft immer wieder zu vermitteln, dass eine große Ungerechtigkeit gegen ihn ihm Gange sei.
Bei alledem ist es nützlich für Kurz, dass es noch um eine kleinere Sache geht. Die WKStA ist der Überzeugung, dass er vor dem Korruptions-U-Ausschuss bewusst falsch ausgesagt hat, als er seine Rolle bei Personalentscheidungen rund um die Staatsholding ÖBAG kleingeredet habe. Er selbst weist dies zurück. Das ist es.
Es ist nicht ausgeschlossen, dass noch größere Affären in eine rechtlich entscheidende Phase kommen werden. Da hilft es Kurz, wenn er jetzt so ausgiebig die Möglichkeit erhält, Ligitaion-PR in eigener Sache zu betreiben. These: So kann er eher nur gewinnen. Aus Sicht eines Teiles der Wählerschaft jedenfalls, den man nicht unterschätzen sollte.
Was wäre die Alternative? Erstens: Nüchtern abwarten und ebenso berichten. Zum Beispiel erst dann, wenn eine Entscheidung über eine Anklageerhebung gefallen ist. Zweitens: Vollkommen unterbelichtet bleiben politische Konsequenzen aus dem, was Kurz einst aus politischen Gründen gezwungen hat, zurückzutreten.
Der Bundespräsident hat vor bald einem Jahr eine Generalsanierung der Republik verlangt. Gemeint hat er umfassende Korruptionsbekämpfung, die auch Präventivmaßnahmen wie „Informationsfreiheit statt Amtsgeheimnis“ umfassen. Oder ernstgemeinte Schritte gegen Inseratenwillkür. Diesbezüglich passiert jedoch wenig bis nichts. Und es scheint auch vollkommen egal zu sein. Worüber sich Kurz gleich noch einmal freuen darf.