ANALYSE. Der Fall Wöginger ist gefährlich für Babler, Marterbauer und die Neos. Umso bemerkenswerter ist ihre Zurückhaltung.
Sein Klubobmann August Wöginger habe das Gericht als unbescholtener Mann verlassen, die Sache sei damit erledigt, versuchte ÖVP-Chef, Kanzler Christian Stocker – wie hier berichtet – über das hinwegzutäuschen, was war: Wöginger hatte bis zur letzten Minute bestritten, dafür lobbyiert zu haben, dass ein Parteifreund Leiter eines Finanzamtes in Oberösterreich wird. Erst beim Prozess gab er de facto ein Schuldeingeständnis ab, übernahm Verantwortung und ging straffrei; es kam zu einer Diversion.
Für den Antikorruptionsexperten Martin Kreutner ist dieser Ausgang „verwunderlich“. Immerhin sei die Staatsanwaltschaft mit dem Statement in die Verhandlungen gegangen, dass es sich um kein Kavaliersdelikt gehandelt habe. Durch die Diversion wird das laut Kreutner jedoch zum Ausdruck gebracht: Es werde eine falsche Signalwirkung gesetzt, um zukünftige Täter abzuschrecken, wie der Experte in einem Ö1-Morgenjournal erklärte.
Nicht nur für die ÖVP ist die Sache jedoch erledigt, sondern bemerkenswerterweise auch für Sozialdemokraten und Neos. Behauptung: Es handelt sich um falsch verstandene, auch für sie selbst gefährliche Koalitionsdisziplin.
Korruption ist ansteckend: Damit gemeint ist hier, dass Wögingers Tun zumindest für SPÖ-Chef Andreas Babler, Finanzminister Markus Marterbauer, in dessen Zuständigkeit Finanzämter fallen, und Neos unentschuldbar sein müsste; es widerspricht dem, wofür sie erklärtermaßen stehen. Indem sie nun ein Auge zudrücken, beschädigen sie ihre Glaubwürdigkeit.
Neos-Chefin Beate Meinl-Reisinger will gerichtliche Entscheidungen laut ORF.AT nicht kommentieren. Für sie habe die Justiz „ein Signal gesetzt“, auch mit den Ermittlungen und der Einleitung des Verfahrens. Marterbauer wolle „alles dafür tun“, dass Besetzungen künftig transparent und objektiv erfolgen. Mit Kritik an Wöginger hätten sich beide jedoch zurückgehalten, sodass die Causa für die Koalition erledigt sei.
Schön für den ÖVP-Klubobmann und dessen Chef, Christian Stocker: Ihre Partner machen keine Affäre aus der Sache. Womit sie unfreiwillig dazu beitragen, dass sie als das rüberkommt, was sie ihres Erachtens eben genau nicht sein sollte: eine Lässlichkeit.
Es kann ihnen so sehr schaden, wie es zum Beispiel Grünen an der Seite der ÖVP zugesetzt hat, dass diese Kinder abschieben ließ. Daran waren sie ebenfalls nicht unmittelbar beteiligt, haben es der Volkspartei als Juniorpartnerin grundsätzlich jedoch ermöglicht, so zu wirken.
Die Möglichkeiten von Sozialdemokraten und Neos wären nun nicht gleich null. Brutal formuliert: Die Volkspartei ist erpressbar. Sie kann Neuwahlen genauso wenig oder noch weniger wollen als sie. Es wäre eine Katastrophe für Stocker und Co.
Vor diesem Hintergrund kann man in einer so essenziellen Sache wie der Korruptionsbekämpfung, bei der es um die überfällige Eindämmung von Machtmissbrauch sowie der Vertrauenskrise der Politik geht, die ÖVP unter Druck setzen, sie zu ernsthaften Konsequenzen und neuen Maßstäben zwingen.
Maßstäbe, wie sie von „Greco“, der Staatengruppe des Europarates zur Korruptionsbekämpfung, seit bald zwei Jahrzehnten – vergeblich – eingemahnt werden: Schon 2008, als sie sich Postenvergaben in Österreich ein erstes Mal angeschaut hatte, habe sie den „Eindruck einer Politisierung“ gewonnen, stellte sie in ihrem jüngsten Evaluierungsbericht fest. Genauer: Dass politische Unterstützung zu einem schnellen Karriereaufstieg zum Beispiel eines Staatsanwalts oder eines Polizeibeamten führen könne; und zwar zum Nachteil eines engagierteren und leistungsfähigeren Kollegen, der nicht „die richtige politische Farbe“ habe: Nun, 14 Jahre später, habe man erneut bemerkt, „dass politische Netzwerke nach wie vor entscheidend für die Ernennung auf Führungsebene sind.“
Weil man ÖVP-Leute und andere, die das pflegen, halt lässt.