ANALYSE. Für SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner bleibt Doskozil ein Problem, das einem politischen Erfolg mit im Weg steht.
Es ist nicht so, dass man von Neuwahlen ausgehen kann; ganz auszuschließen kann man sie aber auch wieder nicht. Zu viel ist allein heuer schon passiert: Die von der ÖVP bzw. Innenminister Karl Nehammer betriebene Abschiebung von Schülerinnen, die den Grünen sehr große Probleme gegenüber ihren Anhängerinnen und Anhängern bescherte; die ÖVP-interne Drohung von Tiroler Nationalratsabgeordneten, Landes- vor Bundesinteressen zu stellen, was die türkis-grüne Mehrheit auf parlamentarischer Ebene gefährdet; und jetzt die Causa Blümel, die die ÖVP zu neuerlichen Angriffen auf die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft treibt – und die die Grünen nicht nur, aber auch aufgrund ihrer Ressortführung zwingt, dagegenzuhalten. Summa summarum ist hier etwas ins Rutschen gekommen, was sich wieder beruhigen kann, aber nicht muss.
Für den Fall der Fälle und trotz Corona wird unter diesen Umständen jede Partei gut beraten sein, sich auf etwas „Unösterreichisches“, nämlich einen fliegenden Regierungswechsel, oder auf etwas sehr Österreichisches, nämlich Neuwahlen, vorzubereiten.
Die SPÖ ist nicht so dafür aufgestellt, dass sie mit größeren Zugewinnen rechnen könnte. Laut jüngster „profil“-Umfrage liegt sie mit 23 Prozent noch immer weit hinter der ÖVP (36 Prozent) zurück. Natürlich, das kann sich ändern. Aber: Neben Regierenden, die an Zuspruch verlieren, muss eine Oppositionspartei schon auch ein attraktives Angebot liefern, das auf Zuspruch stößt.
Zum Teil könnte sich Rendi-Wagner diesbezüglich einen Dienst erwiesen haben in den vergangenen Wochen und Monaten: In der Pandemie versucht sie sich gewissermaßen als konstruktive Alternative; als Politikerin, die Vorschläge macht, wie man das Infektionsgeschehen auch bekämpfen könnte. Die 23 Prozent in der „profil“-Umfrage sprechen jedoch nicht dafür, dass das schon eine große Bewegung hin zur SPÖ ausgelöst hat.
Was fehlt, ist vielleicht eine Geschichte, die Menschen in Österreich eine Perspektive gibt, wie es gesellschaftlich, wirtschaftlich und sozial laut Rendi-Wagner weitergehen könnte. Was jedenfalls aber fehlt, ist eine Klärung des Verhältnisses zwischen ihr und dem burgenländischen Landeshauptmann Hans Peter Doskozil.
Klar, auch eine im Burgenland starke SPÖ mit einem ebendort erfolgreichen Landeshauptmann ist österreichweit noch lange nicht die entscheidende Größe. Es reicht aber für die öffentliche Wahrnehmung, dass hier jemand ist, der einen ganz anderen Kurs verfolgt.
Diese Woche glaubte burgenländische Landesparteisekretär Roland Fürstl offenbar, die ÖVP-Krise sei noch nicht groß genug; er trat in Vertretung des rekonvaleszenten Doskozil jedenfalls auf, um ein weiteres Thema zu setzen und einen „sofortigen Zuwanderungsstopp“ zu fordern, „so lange die Coronakrise nicht bewältigt ist“.
Das wird sich in der gesamten SPÖ kaum durchsetzen. Aber: Es handelt sich um eine Einladung an politische Mitbewerber, sich auseinanderdividieren zu lassen. Das setzt Rendi-Wagner unter Zugzwang. Zumal ihre bisherigen Versuche, sich darüber hinwegzusetzen, gescheitert sind: Erstens, das klare Votum dafür, Streitigkeiten intern abzuhandeln, das sie sich bei einer Mitgliederbefragung geholt hat; zweitens, gespielt gelassene Anmerkungen wie beim ORF-Sommergespräch, dass sie Doskozil eh öfter anrufe, als diesem lieb sei. Heute weiß man: Es bringt nichts.
Hier geht es um ganz grundsätzliche Fragen, die für Erfolg oder Misserfolg der SPÖ entscheidend sind. Der Ruf nach einem Zuwanderungsstopp würde bedeuten, dass die Partei versucht, nicht nur die ÖVP, sondern auch die FPÖ rechts zu überholen, also um dortige Wählerinnen und Wähler zu werben. Das kann man machen. Rendi-Wagner verkörpert das jedoch nicht. Im Gegenteil, wenn es etwa um Kinder in Moria geht, bezieht sie eine Position, die klar links davon steht. Längerfristig wird sie das jedoch nicht mit Erfolg tun können, wenn ihr aus ihren eigenen Reihen so radikal, aber auch prominent widersprochen wird.
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