ANALYSE. Die ÖVP hat sich selbst erledigt: Sie hat keine Wahlmöglichkeiten mehr und muss daher mit einem Mann wie Stocker an der Spitze freiheitliche Bedingungen für eine Zusammenarbeit akzeptieren.
Es ist, als habe Herbert Kickl bei der Nationalratswahl 45 Prozent erreicht mit der FPÖ und müsse daher nur mit einer Fünfprozentpartei verhandeln, die ihm inhaltlich ohnehin nahesteht, um zu einer Mehrheit auf parlamentarischer Ebene kommen und „Volkskanzler“ werden zu können. So marginalisiert ist die ÖVP. Es wird ein leichtes Spiel für ihn.
Die Volkspartei ist fertig. Man könnte glauben, mit dem bisherigen Generalsekretär Christian Stocker an der Spitze verfolge sie schon wieder irgendeine Absicht. Wolle nur eine Übergangslösung für ein, zwei Regierungsjahre, um dann die Koalition aufzukündigen und mit einem vermeintlichen Wunderwuzzi wie Sebastian Kurz in Neuwahlen zu ziehen. Das ist jedoch Unsinn.
Kurz weiß schon, warum er die Gelegenheit jetzt nicht genützt hat, zu einem vielleicht möglichen Comeback zu schreiten. Es hat unter anderem damit zu tun, dass er selbst nicht mehr annähernd so tolle Umfragewerte hat wie vor blad zehn Jahren. Und damit, dass ihn die eigene Partei so sehr runterziehen würde, dass Versuche, von einer neuen Bewegung zu reden, nicht noch einmal aufgehen würden. Wenn, dann müsste er wirklich eine eigene Liste gründen.
Kickl hat sich auf der anderen Seite über die vergangenen vier, fünf Jahre eine große, feste Wählerschaft erarbeitet. Damit ist er ein Mitbewerber, der kaum zu schlagen ist.
Das Problem der ÖVP ist, dass sie aus sich heraus kein attraktives politisches Angebot mehr zusammenbringt. Einst hat sie sich mit den Grünen zusammengetan, weil die frischer wirkten und die Hoffnung bestand, dass das auf die eigene Partei abstrahlen würde. Dann hat sie begonnen, Freiheitliche zu kopieren, ja in einem Bundesland nach dem anderen mit ihnen zu koalieren. Es war und ist auch eine Kapitulation: Weil sie selbst nichts mehr zusammenbringt, geht sie mit denen zusammen, die Wahlerfolge erzielen. So einfach ist das.
Unterm Strich weiß die ÖVP heute nur noch, was sie sagen muss: Wirtschaft entlasten, Leistung fördern und Islamismus bekämpfen. Glaubwürdig verkörpern kann sie das aber nicht mehr. Siehe zum Beispiel den Budgetschlamassel, den sie zu verantworten hat. Im Übrigen hat Kickl das Monopol auf alles, was mit Zuwanderung zu tun hat; da kann sie einpacken.
So entwickelt sich denn auch ihr Beitrag zur Regierungsbildung: Sie erledigt sich selbst. Es ist unglaublich. In einer starken Position ist man, wenn man mehrere Optionen hat. Der Option, weiter mit den Grünen zu koalieren, hat sie sich von vornherein beraubt. Der Option, es mit Sozialdemokraten zu versuchen, im Grunde genommen auch. Andreas Babler ist von ihr als Marxist dargestellt worden. Das allein hat einen Pakt unmöglich gemacht: Was hätten da die eigenen Wähler sagen sollen?
Karl Nehammer hat dann nicht einmal die Verhandlungen über eine Dreiparteienkoalition genützt, um inhaltlich irgendwie aufzuzeigen und etwa Babler alt ausschauen zu lassen. Und zwar in dem Sinne aufzuzeigen, dass zumindest ein Teil der Wählerschaft feststellt: „Wow, das ist spannend, worum er da kämpft.“
Man kann nicht einmal genau sagen, warum letzten Endes auch die schwarz-roten Verhandlungen gescheitert sind. Klar: Nehammer hatte keinen Spielraum mehr, zu vielen in seiner Partei war eine Koalition mit der FPÖ lieber als eine solche mit der SPÖ allein, ohne Neos als Kraft, die ihnen in einigen Fragen nahesteht. Aber was war jetzt wirklich das Problem? Man weiß es nicht.
Er werde als Kanzler und ÖVP-Chef „nicht den Steigbügelhalter für Kickl machen“, hat Karl Nehammer im Oktober gesagt. Er hat Wort gehalten und jetzt seinen Rücktritt verkündet. Den Steigbügelhalter muss Christian Stocker machen: Zugespitzt formuliert muss er tun, was Kickl verlangt.
Kickl muss jetzt aus ÖVP-Sicht Kanzler werden. Es geht nicht nur darum, dass das ihre letzte Option ist, bald 40 Jahre de facto durchgehend in der Regierung vertreten zu sein und nicht endlich einmal in der Opposition zu landen. Es geht auch darum, dass die Alternative Neuwahlen wäre – mit absehbarem Ergebnis: Sensationell für Kickl, katastrophal unter anderem für sie. Dass Stocker das Ruder herumreißen und zum neuen Wunderwuzzi aufsteigen könnte, ist jedenfalls sehr unwahrscheinlich.