Kickl vs. Babler

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ANALYSE. Der FPÖ-Chef und der SPÖ-Vorsitzende versuchen einer entscheidenden Entwicklung am ehesten gerecht zu werden: Über 80 Prozent der Österreicher erwarten sich keine Verbesserung ihres Lebensstandards mehr.

Wahlentscheidend sind am Ende sehr einfache Fragen: Wie geht’s den Leuten? Genauer: Was nehmen sie wahr, was erwarten sie sich? In Ostdeutschland, bei den Landtagswahlen in Thüringen und Sachsen, dürfte das gerade eine große Rolle gespielt haben. Der Anteil der Menschen, die eine Verschlechterung ihres Lebensstandards befürchten, hat sich in wenigen Jahren auf über 50 Prozent verdoppelt. Das dürfte eine Erklärung dafür sein, dass die AfD und das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) stark werden konnten – und dass traditionellere Parteien massiv verloren.

Das Ganze ist nachvollziehbar. Auch in Österreich: Massenparteien wie ÖVP und SPÖ standen über Jahrzehnte hinweg für eine Verbesserung der Verhältnisse – für Angestellte, Beamte und Gewerbetreibende einerseits und für Arbeiter andererseits. Jetzt erwarten in Österreich laut einer Eurobarometer-Erhebung vom Frühjahr aber nur noch 18 Prozent, dass ihr persönlicher Lebensstandard in den kommenden Jahren steigen wird – wobei es sich bei all jenen, die sich selbst der Arbeiterklasse zuordnen, überhaupt nur um vier Prozent handelt und in der Mittelklasse (bzw. Mittelschicht) auch nur um etwa 20 Prozent (siehe Grafik): Da müssen ÖVP und SPÖ eine grundsätzliche Krise haben, die weit über das hinausgeht, was offensichtlich ist (Kurz-Aufstieg und -Fall etc.).

Dass alles in allem noch immer 43 Prozent der Österreicher meinen, dass ihr Lebensstandard gleich bleiben wird, macht die Sache nicht besser für die beiden ehemaligen Großparteien: Der Punkt ist, dass kaum noch jemand an einen Aufstieg glaubt. Und dass 32 Prozent mit Verschlechterungen rechnen, wobei es sich in der Arbeiterschaft gar um 53 und in der unteren Mittelschicht um 42 Prozent handelt (was nebenbei auf die Erosion der Mitte hinweist).

Nischenparteien wie Neos und Grüne sind von alledem vielleicht nur am Rande betroffen. Ihr Glück ist, dass sie keine Massenparteien sind. Wer jedoch eine relative Mehrheit erzielen möchte, muss darauf reagieren. Herbert Kickl tut es für die FPÖ schon lange. Er redet den Leuten ein, dass die da oben versagen würden und daher alles den Bach runtergehe. Dass er sich für sie rächen werde und so weiter und so fort.

Karl Nehammer (ÖVP) reagiert unter den drei selbsternannten Kanzlerkandidaten am wenigsten darauf. Er glaubt, sich am Ende des Tages ohne größere Anstrengungen, geschweige denn ernstzunehmenden Inhalt, als Vertreter dessen behaupten zu können, was von der alten Mitte noch da ist, die an eine gute Zukunft glaubt. Es kann aufgehen, das Risiko, dass es der Stimmungslage exakt gar nicht gerecht wird, ist jedoch groß.

Die SPÖ geht mit Andreas Babler ebenfalls ein erhebliches Risiko ein. Es ist so groß, dass führende Genoss:innen wie Doris Bures ihre Zweifel haben. Es gibt auch keine belastbaren Hinweise darauf, dass es zu einem Wahltriumph führen könnte. Vielleicht aber wird ohnehin niemand einen Triumph erzielen, reichen schon etwas mehr als 25 Prozent, dass eine Partei erste wird. Das sollte man nicht vergessen.

Jedenfalls ist Babler neben Kickl der österreichische Politiker, der am ehesten versucht, dem Phänomen zu entsprechen, dass so viele Menschen keine Verbesserung ihres Lebensstandards mehr erwarten oder gar eine Verschlechterung befürchten. Beide haben mit sehr unterschiedlichen Zugängen die Arbeiter- und die untere Mittelklasse im Fokus, bei der die Stimmung im Keller ist.

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