Kickl-Verharmlosung

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ANALYSE. Es gibt Leute, die finden, die Demokratie würde auch einen „Volkskanzler“ überstehen. Motto: Also lasst ihn doch. Das ist jedoch extrem blauäugig.

Etwas sehr Schönes hat der Philosoph Konrad Paul Liessmann in einem Interview mit der „Kleinen Zeitung gesagt. Nämlich zum Wahlausgang. Zitat: „Ich bin kein Prophet und kein Meinungsforscher. Da ich beiden nicht traue, halten sich meine Erwartungen in Grenzen. Vielleicht gibt es ein Kopf-an-Kopf-Rennen, vielleicht auch nicht; vielleicht ist es eine Schicksalswahl, vielleicht nicht. Ich plädiere dafür, die Spekulationen vor Wahlen drastisch einzuschränken und dafür nach den Wahlen das Ergebnis zu analysieren und zu bewerten. So viel Respekt vor dem Wähler muss sein.“

Danke, Herr Liessman. Es ist ja wirklich unerträglich: Auf Basis von irgendwelchen Umfragen hat sich eine Art fiktive Realität entwickelt. Beispiel: Für die „Krone“ ist ein SPÖ-Debakel schon so fix, dass sie in den Raum stellt, Christian Kern werde Andreas Babler beerben. Das ist ein Versuch, den Wählern einzureden, dass sie eine Stimme für die Sozialdemokratie vergessen könnten: Diese habe ohnehin schon verloren.

In Wirklichkeit kann exakt niemand mit Sicherheit sagen, wie die Wahl ausgehen wird. Ob die FPÖ oder die ÖVP Erste wird; ob die SPÖ bei dieser Entscheidung mitspielt oder nicht. Es wird einfach angenommen, dass die Hochwasserkatastrophe Bundeskanzler Karl Nehammer nütze. In den Rohdaten ist es jedoch zu keiner großen Veränderung gekommen, ja liegen nicht einmal ÖVP und SPÖ so weit auseinander, dass man eine Überraschung am Wahlabend ausschließen kann.

Im Übrigen sagt Liessmann im Interview mit der „Kleinen Zeitung“ etwas, was immer wieder zu hören ist. Sinngemäß: „Entspannt Euch! Wenn die FPÖ Erste wird, wird sie Erste und wenn Herbert Kickl in die Regierung kommt, kommt er in die Regierung. Demokratie und Verfassung werden es überleben.“

„Es gehört zum Wesen der Demokratie, dass manchmal auch diejenigen an einer Regierung beteiligt sein können, deren Ziele und Methoden man gar nicht teilt. Wer dies nicht aushält, sollte einmal seine Einstellung zur Demokratie reflektieren“, sagt Liessmann.

Tatsächlich ist es so, dass Kickl einen erheblichen Teil seiner Vorhaben nicht so einfach umsetzen könnte. Die Ausweitung der direkten Demokratie dahingehend etwa, dass gerne auch über die Wiedereinführung der Todesstrafe abgestimmt werden könnte. Das wäre eine Gesamtänderung der Bundesverfassung, die zunächst einmal selbst einer Volksabstimmung unterzogen werden müsste.

Abgesehen davon bräuchte Kickl einen Koalitionspartner, müsste also Kompromisse eingehen. Im Übrigen wäre er an Regeln des Rechtsstaates gebunden. Genau hier aber könnte es klingeln: Kickl sind Rechte glaubwürdig egal. Er sagt „Einfach machen“ und hat dabei auch ein Vorbild: Jörg Haider, der sich jahrelang ganz einfach geweigert hat, ein VfGH-Erkenntnis zu zweisprachigen Ortstafeln umzusetzen.

Ein Mann wie Kickl dreht den Spieß um: Er nimmt gerne in Kauf, verurteilt zu werden. Oder gerügt. Am besten durch Brüssel. ­Das eröffnet die Möglichkeit, ein Gut-und-Böse-Spiel zu eröffnen: „Ich will, was das Volk will. Aber die EU will mich davon abhalten.“

Im Umgang mit der Justiz haben Türkise wie Sebastian Kurz oder dessen Helfer bis hinunter zu Andreas Hanger vorgemacht, wie’s geht: Die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft wird öffentlich diskreditiert. Abschaffen kann man sie schwer, sie anpatzen geht jedoch immer.

So macht die FPÖ das auch im Umgang mit Asylwerbern: Sie werden als Asylanten bezeichnet, die möglichst übel behandelt werden müssten. Ein Problem bei derlei ist, dass damit Stimmungen befeuert werden. Damit gehen Signale an Menschen einher, dass jetzt im Umgang mit Asylwerbern alles erlaubt sei. Nur keine Hemmungen.

Die Demokratie wird Kickl überleben? Vielleicht. Das Parlament kann er erst recht schwer abschaffen. Er stellt sich jedoch als „Volkskanzler“ dar, der nach unten diene und nach oben trete. These: Derlei sollte man in einer Zeit multipler Krisen, in der fast alle Spitzenpolitiker bei einer Masse unten durch sind, in der eine Mehrheit befürchtet, dass sich der persönliche Lebensstandard in den kommenden Jahren verschlechtert, nicht verharmlosen.

Hier könnten all jene unter Druck geraten, die sich dem „Volkskanzler“ allein schon aus Prinzip in den Weg stellen und die von diesem daher schon vorsorglich als „Volksverräter“ bezeichnet werde. Bei einer verbreiteten Krisenlage ist es um ein Vielfaches schwieriger als sonst, einen Demagogen, der auf Demokratie und Rechtsstaat pfeift, zu stoppen.

Vor allem, weil es zunehmend schwierig ist, eine große Gegenöffentlichkeit zu erreichen; weil Medien für sich ja ebenfalls in einer multiplen Krise stecken: Zu viele kämpfen mit wirtschaftlichen Problemen. Andere sind von öffentlichen Inseraten abhängig. Und beim ORF lassen bestehende Gesetze jeweils Regierenden grundsätzlich zu viel Einfluss.

Die Gefahr bei einer freiheitlichen Führungsrolle in der Regierung mit oder ohne Kickl ist nicht so sehr, dass sie Institutionen abschafft, die für eine Demokratie relevant sind. Die Gefahr ist, dass sie diese niedermacht. Dass die Partei zum Beispiel beim ORF tagein, tagaus behauptet, dass er einseitige Berichterstattung betreibe. Dass Kickl ihn ignoriert, soweit es ihm möglich ist. Dass er gegen die Haushaltsabgabe mobilisiert, sie streichen und zu einer Budgetfinanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks übergehen würde. Ergebnis: Was vom ORF übrig wäre, könnte mit weniger Mitteln und ohne einen allfälligen „Volkskanzler“, der bereit ist, Rede und Antwort stehen, keine bedeutende Rolle mehr spielen.

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