ANALYSE. Der FPÖ-Chef spricht von Demokratie und meint ein theokratisches Präsidialsystem. Endgültig aus dem Spiel nimmt er sich damit nicht.
Der Begriff „Volkskanzler“ ist da und dort so normal geworden, dass er von der „Kleinen Zeitung“ auch schon ohne Anführungszeichen verwendet wird. Also kann Herbert Kickl zur nächsten Stufe übergehen. Auf dem jüngsten Bundesparteitag habe er die Partei auf einen Umbruch zur „Dritten Republik“ eingeschworen, schreibt der „Deutschlandfunk“.
Die „Dritte Republik“ ist nicht einfach nur eine neue, geschweige denn bessere Version der gegenwärtigen, wie Kickl tut. Es ist das Gegenteil davon: Er weiß sehr genu, was damit gemeint ist. Vor gut 30 Jahren hat das Freiheitliche Bildungswerk ein Konzept entworfen, das dann von Jörg Haider im Buch „Die Freiheit, die ich meine“ weiterentwickelt worden ist.
Kickl, der von der Notwendigkeit spricht, Österreich von der Spitze her zu „redemokratisieren“, redet damit der Abschaffung der repräsentativen Demokratie das Wort. Beziehungsweise der Schaffung eines Präsidialsystems mit einem starken Führer auf der einen Seite und direkter Demokratie auf der anderen. Genauer: Direkter Demokratie, die liefert, was ihm gefällt und nie ein Gegengewicht sein könnte, weil er ja Medien und damit auch die Öffentlichkeit weitgehend kontrolliert, weil er den ORF zu einem Grundfunk zusammenschlägt und unabhängigem Journalismus das Wasser abgräbt. Vorbild Trump.
Das ist also das, was Kickl will. Und es ist nicht alles: Auf dem Parteitag hat er die „Volkskanzler“-Sache auf eine neue Ebene gehoben. Auf eine theokratische. Die göttlichen Tugenden „Glaube, Hoffnung und Liebe“ aus dem Brief des Apostels Paulus an die Korinther hat er, der sich demonstrativ als „gläubiger Christ“ bezeichnet, zur Maxime erklärt.
Der Mann macht sich selbst zum Werkzeug eines Höheren, eines Überirdischen. Es ist ein Treppenwitz: In derselben Rede forderte er ein Verbot des „politischen Islam“. Immerhin konsequent ist hingegen, dass er Mitbewerber jetzt auch ausdrücklich der „Sünde“ bezichtigt, weil sie „das eigene Volk und das eigene Land nicht lieben“ würden. Bisher bezeichnete er sie „nur“ als „Verräter“.
Es ist irrwitzig: Der FPÖ-Chef hat sich heuer selbst ums Kanzleramt gebracht. Grund: Mangelnde Kompromissbereitschaft. Jetzt zeigt er sich nicht reuig, sondern geht aufs Ganze und signalisiert erst recht null Kompromissbereitschaft. Eine solche würde schließlich in einem glatten Widerspruch zu seinem theokratischen Zugang stehen.
Sich zurückzulehnen und zum Schluss zu kommen, dass sich Kickl damit endgültig aus dem Spiel nehme, wäre jedoch leichtfertig. So lange es ÖVP und SPÖ nicht schaffen, Angestellte, Arbeiter und Pensionisten zurückzugewinnen oder auch nur die zu halten, die sie noch haben, geht das Potenzial der FPÖ Richtung 35, 40 Prozent.
Wichtiger: Besonders der ÖVP hat Kickl zuletzt zugesetzt. Es ist ihm eine große Freude: Er wird nie vergessen, wie er auf Betreiben von Sebastian Kurz (ÖVP) 2019 das Innenministerium verloren hat. Er sinnt auf Rache – und bei ihr kann man trotzdem nie ausschließen, dass sie am Ende mit ihm zusammengeht.
Im Februar ist es nur an eine Kleinigkeit gescheitert. Auf die Frage, ob es zu einer Zusammenarbeit gekommen wäre, wenn Kickl der ÖVP das Innenministerium überlassen hätte, meinte Kanzler Christian Stocker auf Ö3: „Wahrscheinlich.“ Trotz Anti-EU- und Pro-Russland-Kurs der FPÖ etwa; und trotz der offenen Bestrebungen von Kickl, autoritäre Verhältnisse einzuführen und die ÖVP gegen die Wand zu fahren.