ANALYSE. Der SPÖ-Vorsitzende mobilisiert gegen die da oben, der ÖVP-Chef gegen die ganz unten. Beide setzen damit den gesellschaftlichen Zusammenhalt aufs Spiel.
Man muss sich wundern: Sebastian Kurz (ÖVP) möchte werden, was Christin Kern (SPÖ) bleiben will. Bundeskanzler nämlich. Was eigentlich voraussetzen sollte, dass sich beide um den gesellschaftlichen Zusammenhalt bemühen. Doch dem handeln sie in diesem Wahlkampf zunehmend zuwider.
Der SPÖ-Kern-Slogan „Holen Sie sich, was Ihnen zusteht“, löst allerlei aus. Wenn man ihn vor dem Hintergrund betrachtet, dass alle gleich stark vom Wirtschaftswachstum profitieren sollten, dann vor allem dies: „Ihnen, liebe Österreicherin, lieber Österreicher, wird da etwas vorenthalten. Konkret: Ein paar Superreiche cashen ab. Also ist es an der Zeit, dass Sie selbst zugreifen.“
Der Politik kommt bei dieser Aufforderung nur eine gewisse Verantwortungslosigkeit zu. Sie beschränkt sich darauf, Teile der Gesellschaft gegeneinander aufzubringen. Was rein strategisch gesehen kurzfristig erfolgversprechend sein kann, weil sehr wohl einige Menschen der Meinung sein dürften, dass sie benachteiligt werden. Was andererseits aber auch unabsehbare Folgen haben kann. Von wegen Solidarität! Mit ihr ist es spätestens dann aus, wenn das ein paar wortwörtlich nehmen und nicht mehr länger akzeptieren, was ihnen aufgrund von Gesetzen und durch staatliches Handeln zugewiesen wird; wenn sie sich stattdessen darüber hinwegsetzen und an sich reißen, was sie wollen.
Den Widerspruch nimmt Kurz in Kauf. Wichtiger ist, was die Botschaft auslöst.
Genau dieses Muster wendet nun auch Sebastian Kurz an: „Ich halte es für ungerecht, wenn eine Flüchtlingsfamilie 2000 Euro erhält, obwohl sie noch nie ins Sozialsystem eingezahlt hat, und ein Pensionist, der ein Leben lang gearbeitet hat, mit nur 1000 Euro auskommen muss“, sagte er in einem „Kurier“-Interview und auch im ORF im Zusammenhang mit der Debatte über die kommende Pensionsanpassung.
Über den Inhalt dieses Satzes könnte man jetzt lange diskutieren. Irgendwie aber kommt man immer auf eine gewisse Selbstkritik: Dass eine Flüchtlingsfamilie eine Summe X bekommt, ist ebenso auf politische Entscheidungen zurückzuführen, wie etwa die Verhältnisse beim Pensionssystem. Wobei besonders die schwarz-blaue Regierung durch ihre Reformen in den 2000er Jahren eine maßgebliche Rolle eingenommen hat. Rein budgetär gesehen was es gut, was sie gemacht hat. Es hat nun aber eben seine Konsequenzen.
Doch diesen Widerspruch nimmt Kurz als maßgeblicher Regierungsvertreter ganz offensichtlich in Kauf. Wichtiger ist, was seine Botschaft auslösen muss: Empörung, ja vielleicht sogar Wut darüber, dass eine Flüchtlingsfamilie 2000 Euro bekommt. Was einem vernünftigen Zusammenlegen naturgemäß ebenso zuwider läuft wie die Aufforderung, sich zu holen, was einem zusteht.