ANALYSE. Die ÖVP glaubt, sich zwischen einer Babler-SPÖ und einer Kickl-FPÖ breit machen zu können. Genau das hat sie sich mit Sebastian Kurz jedoch verbaut. Und zwar unwiderruflich.
Wenn man ÖVP-Generalsekretär Christian Stocker zuhört, könnte man glauben, es sei alles sehr einfach: Die Sozialdemokraten wollen Österreich mit Andreas Babler in Richtung Nordkorea, die Freiheitlichen mit Herbert Kickl in Richtung einer illiberalen Demokratie nach ungarischem oder gar russischem Vorbild treiben – und die ÖVP ist als letzte Kraft für eine bürgerliche Mitte übriggeblieben.
Widerspruch kommt aus der Partei selbst: In Form von Berichten über den EU-Abgeordneten Othmar Karas (ÖVP), der sich ewig plagt mit ihr, und der wieder einmal plane, mit einer eigenen, bürgerlichen Liste bei einer EU-Wahl anzutreten. Der 65-Jährige hält sich bedeckt. Das Ganze steht aber dafür: Für einen Mann wie ihn ist schon lange kein Platz mehr in der ÖVP. Genauer: Seit sie nicht mehr Europapartei sein möchte.
Seit Sebastian Kurz die Freiheitlichen zu ihrem Nordpol erklärt hat, nach dem sie sich ausrichtet. Ergebnis: Rechtspopulismus. Brüssel ist ein Ärgernis. Kanzler Karl Nehammer (ÖVP) hat die europäische Integration in seiner Rede zur Zukunft der Nation kaum gestreift. Er ließ in bewährter Manier eher nur erkennen, dass ihm diese zu weit geht. Es gehört wieder mehr auf nationaler Ebene entschieden. Die europäische Asylpolitik ist kaputt. Rumänien und Bulgarien lässt man außerhalb der Schengen-Grenzen schmoren. Ausgerechnet der illiberale ungarische Ministerpräsident Viktor Orban wird zum besten Freund erklärt.
Auch in der Innenpolitik wird Illiberales gepflegt: Die Wiener Zeitung wird in ein reines Onlineprodukt mit weniger Journalismus umgewandelt. Politische Einflussmöglichkeiten über den Stiftungsrat auf den ORF bleiben. Der Korruptionsstaatsanwaltschaft wird es so schwer wie möglich gemacht. Lange hat es gedauert, bis eine im vergangenen Sommer in der türkisen Inseratenaffäre angeordnete Sicherstellung von Daten im Kanzleramt möglich wurde. Korruptionsbekämpfung wird, wie vielfach berichtet, nicht einmal halbherzig betrieben – obwohl die ÖVP und (ehemalige) Vertreter von ihr im Zentrum von Affären stehen, sie also sehr gute Gründe hätte, ein Signal für Transparenz und Sauberkeit zu setzen.
„Der Weg nach Nordkorea führt über Massenhysterie und Personenkultur, Herr Stocker“, heißt es auf Twitter: Die neue Volkspartei sei am Anfang des Weges gestanden. Illustriert wird das durch Bilder von einem türkisen Sebastian-Kurz-Event 2017 in der Wiener Stadthalle, mit uniformierten, also gleichgeschalteten Anhänger:innen in den vorderen Reihen.
Der Weg nach Nordkorea führt über Massenhysterie und Personenkult, Herr Christian Stocker. Wir waren schon am Anfang des Weges. pic.twitter.com/BQdgWjwzZv
— 𝐙i𝓡ᛕỮs 𝓫𝐈ℓㄥĮค𝔫i🇦🇹 🇮🇹 🇪🇺 🇺🇦 (@flightdeck1140) June 9, 2023
Die ÖVP würde gerne rechtspopulistisch bleiben und so tun, als wäre sie in der bürgerlichen Mitte. Diesen Spagat wird sie nicht zusammenbringen können. Weil sie von ihrer programmatischen Ausrichtung her eine bürgerliche Mitte gar nicht mehr abbilden kann. Dazu gehören würden Bekenntnisse wie jenes zu einer weitgehend freien Marktwirtschaft, ja Kapitalismus; zu Weltoffenheit und europäischer Integration; zu einem schlanken Staat, der selbst und über Kammern nicht in fast alle Lebensbereiche hineinreicht; zu Kunst und Kultur, starken Medien und natürlich auch einer solchen Justiz.
Die ÖVP läuft Gefahr, hinter oder unter dem rechtspopulistischen Original FPÖ zu verschwinden, die sich wiederum an einer Babler-SPÖ reibt, die sich wirklich von ihr unterschiedet. Und was in der Gesellschaft noch an bürgerlicher Mitte vorhanden und Schwarz-Türkis ist, wandert weiter zu Neos oder Grünen – oder bei einer Europawahl vielleicht zu einer Liste Karas ab.