ANALYSE. Die Bundeskanzler legt als Regierungsverhandler keinen Wert auf Dramaturgie und öffentliche Wahrnehmung. Damit riskiert er, sein eigenes Scheitern zu beschleunigen.
Definiere „Kampagne“. Zum Beispiel, wenn der Chefredakteur der „Kronen Zeitung“ im Newsletter des Blattes am Samstag zum x-ten Mal „Zuckerl-Koalition“ schreibt und berichtet, dass sie auf einer Feier auf Gut Aiderbichl von „so gut wie allen mit einiger“ und von „vielen mit größter Skepsis“ betrachtet werde. Und wenn er im Newsletter am Morgen darauf die Verhandler auffordert, „sehr ernsthaft darüber nachzudenken, ob sie in der Lage sind, angesichts der riesigen Herausforderungen ein gemeinsames Programm zum Wohl der Menschen zu planen und umzusetzen“.
Ja, wenn dieser Chefredakteur dann auch noch im Newsletter am Sonntagabend den Innsbrucker Bürgermeister Johannes Anzengruber auf die Bühne bittet, um diesen scharfe Kritik an Bundespräsident Alexander Van der Bellen üben zu lassen: Für Anzengruber habe „das Staatsoberhaupt mit dem Regierungsbildungsauftrag an die ÖVP – und nicht an die stimmenstärkste FPÖ – ideologisch agiert“.
Was hier ideologisch gewesen sein soll, muss man nicht verstehen, zumal es in der Kampagne ohnehin um etwas anderes geht: „Zuckerl“ ist übel, es wird Stimmung für Herbert Kickl (FPÖ) gemacht. Warum? Darüber kann man nur spekulieren. Eine naheliegende Erklärung ist, dass es der Stimmungslage der Boulevardleserschaft entspricht.
Abgesehen davon hat Herbert Kickl in der Vergangenheit, wenn schon nicht medienfreundlich in einem umfassenden Sinne, dann zumindest boulevardfreundlich agiert. Unter seiner Verantwortung als Innenminister floss der überwiegende Teil der Inseraten- bzw. Steuerzahlergelder an „Österreich“, „Krone“ und „Heute“. Siehe Grafik.
Die Kampagne der auflagenstärksten Tageszeitung wirkt. In der ÖVP wächst die Ungeduld. Niederösterreichs Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner (ÖVP), die selbst mit einer extrem rechten FPÖ koaliert (LH-Vize: Udo Landbauer), ließ an diesem Wochenende an die Adresse der Regierungsverhandler wissen: „Wenn wir nicht deutliche, wirksame Maßnahmen zur Wiederbelebung der Wirtschaft und strenge Strafen für Integrationsverweigerer setzen, dann braucht diese Regierung gar nicht erst anzufangen zu arbeiten. Dann fährt sie unser Land an die Wand.“
Durchaus in diesem Kontext gesehen werden kann auch die Wortmeldung bzw. eine schriftliche Mitteilung, die Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) auf X veröffentlicht hat: Sollte die SPÖ auf Vermögens- oder Erbschaftssteuern bestehen, „sind die Verhandlungen schnell zu Ende“. These: Das war eine Botschaft zur Beruhigung der eigenen Leute. Sozusagen: „Ich weiß schon, wo rote Linien sind.“
Unmittelbarer Anlass war eine SPÖ-Vorstandssitzung, bei der Andreas Babler und Genossen bekräftigten, dass zur Budgetsanierung vor allem von jenen ein Beitrag geleistet werden müsse, „die in der Vergangenheit besonders profitiert“ hätten. Nur so könne man bis 2028 gut 15 Milliarden Euro einsparen. Von Vermögens- und Erbschaftssteuern war da keine Rede. Aber natürlich: Sozialdemokraten würden ebensolche einführen, wenn sie könnten. Im Moment wirkt es jedoch so, als sei ihnen bewusst, dass das nicht zu machen ist mit ÖVP und Neos, und dass sie sich daher mit anderen Akzenten begnügen müssen.
Das würde die Nehammer-Warnung vor einem schnellen Ende der Verhandlungen nicht rechtfertigen. Wie gesagt dürfte sie aber eben „nur“ zur Beruhigung von Mikl-Leitner und anderen Parteifreunden des ÖVP-Chefs gedacht gewesen sein.
Bloß: Es unterstreicht, dass Karl Nehammer keinen Wert auf Dramaturgie und öffentliche Wahrnehmung legt. Das ist gefährlich für ihn und seine Partei. Er hat es zum Beispiel schon nicht geschafft, Wählern, die ihm wichtig sind und die eher rechts der Mitte stehen, zu vermitteln, warum er Herbert Kickl als Kanzler verhindert bzw. ausschließt. Eine Folge davon ist, dass die Umfragewerte für Kickl weiter steigen.
Nehammer hat es auch als Chef der Regierungsverhandlungen bisher nicht geschafft, zu vermitteln, worum es da eigentlich geht. Es ist für Beobachterinnen und Beobachter inhaltlich vollkommen schleierhaft, warum er das jetzt schon derart eskalieren lässt. Es wirkt eher sogar lächerlich, weil ein Nichtzustandekommen dieser Koalition ja wohl bedeuten würde, dass er sich aus der Bundespolitik verabschieden muss; und dass sich die ÖVP mit einer Juniorpartnerrolle unter Kickl begnügen muss. Es wirkt lächerlich, weil viel mehr als ein vager Budgetkonsolidierungsbedarf (Stand heute) nicht bekannt ist. Man weiß weder, wie Karl Nehammer sparen möchte, noch, welche Steuern genau und wie stark Andreas Babler erhöhen möchte. Soll heißen: Das ist keine Grundlage für einen Krach. Es reicht allenfalls für eine billige Show.
Und es trägt dazu bei, dass die „Krone“ weiter erfolgreich kampagnisieren kann, ja dass sie im Grunde genommen lediglich (entsprechend groß halt) berichten muss, wie wenig läuft bei den Regierungsverhandlungen: Das bestärkt all jene, die „die Zuckerl-Koalition“ von vornherein abgeschrieben haben.