Illusion von der breiten Mitte

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ANALYSE. Die Fragmentierung der Gesellschaft macht nicht nur der ÖVP, sondern auch den Neos zu schaffen.

Vor 20 Jahren hätte man vielleicht sagen können, eine SPÖ, die sich klar links und eine FPÖ, die sich ebenso deutlich rechts positioniert, sei gut für die Österreichische Volkspartei. Heute wäre das daneben: Eine breite Mitte dazwischen gibt es weniger denn je.

Dazu passt wieder einmal eine Zusammenfassung der aktuellen „Sinus Milieu-Studie“: „Die alte, staatstragende Mitte, deren zentrale Leitmotive ‚Stabilität‘ und ‚Normalität‘ waren, existiert in dieser Form nicht mehr.“ Abgelöst worden sei sie einerseits durch ein nostalgisch-bürgerliches Milieu, das zum Sprachrohr eines unzufriedenen Teils der Gesellschaft werde und sich nach einer vermeintlichen Ordnung der Vergangenheit zurücksehne; und andererseits durch ein Milieu der progressiven Realisten, die sich als Treiber:innen einer alternativlosen globalen Transformation betrachten würden und ein starkes Bedürfnis nach Mitgestaltung hätten. Die sich also den Herausforderungen stellen.

Darüber, ob das jetzt wirklich genau so ist, kann man streiten. In wesentlichen Zügen ist es jedoch nachvollziehbar: Als staatstragende Mitte hat sich einst die ÖVP verstanden. Noch heute greift sie darauf zurück, wenn sie sich trotz aller Kanzlerwechsel und Korruptionsaffären als Garant für Stabilität bezeichnet; oder wenn sie in Niederösterreich laut „Kurier“ versuchen möchte, „Normaldenker“ anzusprechen. In Wirklichkeit hat sie unter Kurz aber längst die Fragmentierung der Gesellschaft nachvollzogen und sich dafür entschieden, die Nostalgisch-Bürgerlichen, die unzufrieden sind, nicht der FPÖ zu überlassen. Daher ist sie rechtspopulistisch geworden.

Die progressiven Realisten, die sich von der alten Mitte entfernt haben, hat die ÖVP überwiegend Grünen und Neos überlassen. Zwischendurch sind diese ziemlich groß geworden: In Umfragen halten sie zusammen recht konstant rund 20 Prozent. Das ist ein beachtlicher Wert.

Jetzt aber kommt die SPÖ mit Andreas Babler daher, wird’s kompliziert: Trotz Fragmentierung bilden Teile der ehemaligen Mitte keine programmatische Einheit in dem Sinne, dass man sagen könnte, sie seien eher rechts oder eher links, für Kapitalismus oder Sozialismus, für Wettbewerb oder Regulierung, für Freiheit oder weitgehende Unterordnung einer solchen zugunsten eines Gemeinwesens.

Das macht es letzten Endes auch für die Kleinparteien schwer. Zum Beispiel für die Neos. Sie haben Anhänger, die einfach den frischen Wind schätzen, andere, die von ihrer Arbeit in Korruptions-U-Ausschüssen angetan sind und dritte, die, sagen wir, sehen, dass sie ein Auge fürs Unternehmertum haben.

Neos-Anhänger:innen ticken extrem unterschiedlich. Das zeigt sich in den jüngsten Wahlergebnissen bzw. den Wählerstromanlysen des Sozialforschungsinstituts SORA: Bei der Bundespräsidenten-Wahl 2022 haben nur 41 Prozent der Neos-Wähler von der Nationalratswahl 2019 Alexander Van der Bellen unterstützt. Obwohl es von der Parteiführung eine klare Wahlempfehlung für ihn gab. 22 Prozent haben für Dominik Wlazny gestimmt, der schwer zu verorten ist, aber eher als Linker gilt. Die rechten Präsidentschaftskandidatin haben zusammen 12 Prozent aus dem Neos-„Lager“ erhalten.

Bei der jüngsten Landtagswahl in Salzburg wiederum wanderten von den Neos ein Viertel der Wähler:innen zur ÖVP ab, zehn Prozent blieben zu Hause, acht Prozent wählten die FPÖ, vier die FPÖ und je drei die Grünen und die Kommunisten mit Kay-Michael Dankl an der Spitze.

Diese Unterstützung für Dankl und viel mehr noch jene für Wlazny unterstreicht, dass ein Typ wie Andras Babler selbst für Neos ein ernstzunehmender Mitbewerber ist. Und zwar in zweifacher Hinsicht: Ein Teil ihrer Wähler:innen, die man als Stimmungswähler bezeichnen könnte, könnte in jedem Fall zu ihm tendieren. Weil er unkonventionell und neu wirkt, sich gegen ein Establishment stellt etc. Ein anderer Teil zwingt sie, sich zum Beispiel aufgrund seiner europapolitischen Positionen unmissverständlich von ihm zu distanzieren, ja de facto eine „Ampelkoalition“ auszuschließen – sonst ist er, gemeint ist dieser Teil, weg, wählt er die Neos „sicherheitshalber“ nicht mehr.

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