ANALYSE. Der Verfassungsgerichtshof setzt die „Ehe für alle“ durch. Gegen den Willen von ÖVP und FPÖ. Sie werden immer wieder an ihre Grenzen stoßen. Unterschätzen sollte man sie deswegen jedoch nicht.
Vielleicht gibt es unter anderem auch einen ganz besonderen Grund dafür, dass sich ÖVP und FPÖ bisher eher auf symbolische Fragen, wie die Wiedereinführung von Schulnoten, Rauchen in Lokalen, eine Kürzung der Mindestsicherung oder die Zusammenlegung von Krankenversicherungsträgern, konzentriert haben; Maßnahmen also, die für viele zwar schmerzlich sind, letzten Endes aber nicht das ausmachen, was man als große Politik bezeichnen könnte, die zu einer Verbesserung der allgemeinen Lebensverhältnisse beitragen. Anders ausgedrückt: Dass Sebastian Kurz und Heinz-Christian Strache noch nicht mehr vorgelegt haben, hat nicht zuletzt diesen Grund: Ihr Spielraum ist in vielen Bereichen beschränkt.
Die „Ehe für alle“ steht beispielsweise nicht auf der schwarz-blauen Wunschliste; im Gegenteil. Der Verfassungsgerichtshof dürfte sie nun jedoch erzwungen haben: „Auch gleichgeschlechtliche Paare können in Österreich künftig heiraten“, lässt er in einer Presseaussendung wissen: „Der Verfassungsgerichtshof hat mit Erkenntnis vom 4. Dezember 2017 jene gesetzlichen Regelungen aufgehoben, die diesen Paaren den Zugang zur Ehe bisher verwehren.“
Wobei man europäische Entwicklungen, die zu diesem Erkenntnis geführt haben, nicht übersehen kann: Vor allem auch Urteile des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte haben Österreich in den vergangenen Jahren immer wieder gezwungen, eine diskriminierende Bestimmung nach der anderen zu beseitigen. Sodass zuletzt keine rechtlich argumentierbare mehr geblieben ist.
Vor diesem Hintergrund wird deutlich, worauf die FPÖ-Wahlkampfforderung, eine „Österreichische Menschenrechtskonvention“ zu schaffen, hinauslaufen sollte.
Vor diesem Hintergrund wird im Übrigen auch deutlich, worauf die FPÖ-Wahlkampfforderung, eine „Österreichische Menschenrechtskonvention“ zu schaffen, hinauslaufen sollte; eine Ordnung, die zumindest den Status quo festhält. Doch das ist eine theoretische Auseinandersetzung: Eine solche Konvention kann Österreich allenfalls dann einführen, wenn sie z.B. weder der Europäischen Menschenrechtkonvention noch der Charta der Grundrechte der Europäischen Union widerspricht. Womit sie wohl obsolet wird.
Der nationalpolitische Spielraum wird auch in vielen anderen Bereichen immer kleiner: Eine Einschränkung europäischer Freizügigkeiten geht nicht; womit schon ein großer Teil der Migrationsbewegungen einseitig kaum zu beeinflussen ist. Vor allem die FPÖ würde die EU-Sanktionen gegen Russland gerne kippen; das gegen die übrigen Mitgliedstaaten durchzusetzen ist aufgrund der nötigen Einstimmigkeit zwar denkbar, wird aufgrund unabsehbarer Nebewirkungen und Folgen aber kaum passieren. Oder: Globale Konzerne in puncto Steuerdisziplin und anderen Fragen zu zähmen ist einem Neun-Millionen-Einwohner-Land schwer bis un-möglich; das kann die EU-Kommission, wie sie zuletzt etwa mit ihrer 2,42 Milliarden Euro-Strafe für „Google“ wegen Missbrauchs der Marktmacht bewiesen hat.
Schon seit Jahren heißt es, dass gut 80 Prozent des neueren österreichischen Rechtsbestandes europäisch sind.
Schon seit Jahren heißt es, dass gut 80 Prozent des neueren österreichischen Rechtsbestandes europäisch sind. Überprüfen lässt sich das nicht. Schaut man sich die Tagesordnungen des Nationalrats, fällt jedoch auf, dass wirklich viele Vorlagen ihren Ursprung in Brüssel haben. Ein anderer Teil bleibt „unsichtbar“, weil sich Umsetzungsbeschlüsse dazu erübrigen. Und überhaupt: Dinge, wie die Zinspolitik, die sich unmittelbar auf jeden Sparer und Schuldner auswirken, liefen formal gesehen immer unabhängig von Parlament und Regierung; die Zinspolitik im Besonderen tut das heute jedoch nicht einmal mehr in Österreich.
Auch mit oder sogar ohne symbolische Maßnahmen lassen sich gewisse Stimmungen erzeugen.
Hausgemachten Grenzen von Schwarz-Blau sind an dieser Stelle bereits ausgeführt worden: Auch Heinz-Christian Strache und mehr noch Sebastian Kurz müssen für nötige Mehrheiten die Interessenvertreter in ihren eigenen Reihen überzeugen. Auch sie können die plötzlich relevante rot-grüne Sperrminorität im Bundesrat nicht einfach so beseitigen.
Was sie sehr wohl aber können, ist, mit oder sogar ohne symbolische Maßnahmen gewisse Stimmungen erzeugen. Zum Beispiel, wie es Kurz und Strache ganz offen vorhaben, Flüchtlingen signalisieren, dass Österreich nicht „attraktiv“ für sie ist. Folglich sollte jetzt niemand glauben, dass die künftige Koalition bedeutungslos werden wird. Das wäre naiv.
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