ANALYSE. Sebastian Kurz hat die „rote Linie“ um Umgang mit Antisemitismus gestärkt. Das ist gut so. Sein Problem ist jedoch, dass sein Koalitionspartner nach wie vor zu zögerlich ist.
„Wo ist der Regierungschef?“, stand an dieser Stelle erst vor wenigen Stunden in Anspielung auf die Zurückhaltung, die Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) im Umgang mit den Wiener Neustädter Germanen, ihrem Liedtext und ihrem bisherigen Vizeobmann, dem freiheitlichen Spitzenkandidaten bei der niederösterreichischen Landtagswahl, Udo Landbauer, geübt hatte. Wiewohl ihm das alles nicht passen konnte. Er beschränkte sich jedoch darauf, den Liedtext unmissverständlich zu verurteilen. Politische Konsequenzen unterließ er.
Was er nun zumindest zum Teil nachholte: Abgesehen davon, dass die Germanen aufgelöst werden sollen, unterstützt er die Aussage der nö. Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner (ÖVP), in der St. Pöltner Regierung nicht mit Landbauer zusammenarbeiten zu wollen. Damit hat er eine neue „rote Linie“ gezogen: Sie unterstreicht das Ansinnen, dass Antisemitismus in Österreich keinen Platz haben soll.
Das Problem ist jedoch, dass der Antisemitismus da und dort weiterhin vorhanden ist, und das all jene, die auch nur indirekt Mitverantwortung dafür tragen könnten, nicht genug zu befürchten haben; dass Landbauer aus der FPÖ ausgeschlossen wird, kann Kurz nämlich nicht durchsetzen. Da ist er abhängig vom dortigen Bundesparteiobmann Heinz-Christian Strache, der bereits wissen ließ, dass das kein Thema ist für ihn. Das ist ein Dilemma.
Wer, wie Kurz spät, aber doch anfängt, Leadership zu demonstrieren, muss das auch durchziehen.
Wer, wie Kurz spät, aber doch anfängt, Leadership zu demonstrieren und gewisse Grenzen zu definieren, muss dies im Sinne seiner eigenen Glaubwürdigkeit und auch Autorität auch durchziehen. Wobei das Herausfordernde nun eben ist, dass es nahezu ausschließlich Schwierigkeiten mit dem Koalitionspartner gibt: Am Liederbuch war zwar auch ein Sozialdemokrat beteiligt, wie dieser Tage bekannt wurde; dessen Partei hat ihn aber umgehend ausgeschlossen. Bei den Freiheitlichen vermisst man solche Schritte. Noch. Der oberösterreichische Vize-Landeshauptmann Manfred Haimbuchner hat sie in einem bemerkenswerten Interview eingefordert. Durchsetzen muss sich das aber erst.
Was für Strache wie Kurz gar nicht so einfach ist: Der FPÖ-Chef und Vizekanzler hat Burschenschafter in den vergangenen Jahren groß aufkommen lassen, in deren Reihen es ganz offensichtlich auch braune Flecken gibt (siehe Wiener Neustädter Germanen). Also muss er nun mit Leuten einen Klärungsprozess starten, die ihn tragen, und den Worten, die er auf dem Akademikerball bereits fand, Taten folgen lassen. Der ÖVP-Obmann und Kanzler kann bei alledem wiederum nicht den größtmöglichen Druck, der im Fall des Falles nötig wäre, ausüben – die Koalition aufkündigen wird er nach wenigen Wochen jedenfalls kaum.
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