ANALYSE. Selbstverständlich geht mit dem Vorsitzwahldebakel ein schwerer Schaden für die Sozialdemokratie einher. Schlussendlich ist jedoch positiv, was hier passiert ist.
Zugegeben, es fällt schwer, sich an Tagen wie diesen in politischer Analyse zu versuchen. Gestern erschienen hier Texte mit den Titeln „Die neue SPÖ“ und „ÖVP in doppelter Not“. Es ging darum, was der neue Vorsitzende der Sozialdemokratischen Partei, Hans Peter Doskozil, für ebendiese, aber auch für die Volkspartei bedeuten könnte. Sie wissen schon: Das ist überholt.
Die Beiträge basierten auf dem falschen Wahlergebnis, das die Leiterin der Wahlkommission, Michaela Grubesa, auf dem außerordentlichen Bundesparteitag am 3. Juni in Linz bekanntgegeben hatte. Doskozil hatte sich demnach knapp, aber doch in einer Kampfabstimmung gegen Andreas Babler durchgesetzt. Am 5. Juni musste Grubesa korrigieren: Aufgrund eines technischen Fehlers in einer Excel-Liste seien Ergebnisse vertauscht worden. In Wirklichkeit kann der Fehler natürlich nur menschlich gewesen sein. Der Punkt ist: Babler hat gewonnen.
In den ersten Stunden, nachdem Grubesa dies mitgeteilt hatte, regierten Zweifel: Kann man das jetzt glauben? Babler forderte sicherheitshalber eine nochmalige Kontrolle. Der Ruf der SPÖ ist schwer beschädigt, der Glaubwürdigkeitsverlust enorm. Babler sagt: „Ich möchte mich für das Bild, das Teile unseres Apparats abgegeben haben, entschuldigen. Das ist durch nichts zu rechtfertigen und zu relativieren.“
Der Vorfall ist mit nichts vergleichbar und weckt trotzdem Erinnerungen an die erste Bundespräsidenten-Stichwahl im Frühjahr 2016. Was damals passiert ist, steht für eine Zäsur: Gewonnen hatte Alexander Van der Bellen, Verlierer Norbert Hofer und die Freiheitlichen zogen jedoch vor den Verfassungsgerichtshof, dieser bestätigte ihre Einwände und ordnete eine Wiederholung an.
Einerseits stärkt derlei möglicherweise Verschwörungstheoretiker und Feinde der Demokratie, die immer wieder gerne von manipulierten Wahlen reden, wenn ihnen das Ergebnis nicht passt. Sie sagen dann: „Das hatten wir schon, sogar höchstgerichtlich bestätigt!“ Anderseits ist es aber auch ein gutes Zeichen: der Rechtsstaat funktioniert. Auch wenn etwas noch so unangenehm sein mag, wird es eingestanden, werden Konsequenzen daraus gezogen. So gesehen wird das Vertrauen in ein System gestärkt.
Was den unsagbaren Fehler betrifft, der sich nun bei der SPÖ ereignet hat, gilt die These: Ein solcher kann weniger denn je unentdeckt bleiben. Schlecht? Woher!
Im konkreten Fall hat der ORF-Journalist Martin Thür schon unmittelbar nach dem Bundesparteitag auf Twitter auf einen Fehler hingewiesen, der auch den hunderten Delegierten, Journalisten und Besuchern vor Ort hätte auffallen können: Von 596 gültigen Stimmen seien 316 auf Doskozil und 279 auf Babler entfallen, hatte Michaela Grubesa verkündet. Das geht sich jedoch nicht aus: Die Summe ist nicht 596, sondern 595.
Tags darauf teilte Thür mit: „Nach Rücksprache mit der Leiterin der Wahlkommission: Hier ist ein Fehler bei der Transkription des Ergebnisses passiert. Es ist zur Zeit nicht feststellbar, wem die eine Stimme gehört. Unklar, ob die Wahlkommission noch einmal zusammentritt.“ Am 5. Juni tat sie es dann, musste noch viel Übleres erkennen – und publik machen.