Grüne Unbeholfenheit

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ANALYSE. An der Seite der ÖVP riskieren Kogler und Co. ihre einstigen Assets: Kontrolle und Menschenrechte. Was noch bleibt, ist Klimaschutz.

Nachdem mit Birgit Hebein ausgerechnet eine Regierungsverhandlerin aus der grünen Partei ausgetreten ist (die Politik erreiche ihr Herz nicht mehr), legte mit Gunther Trübswasser ausgerechnet der damalige Klubobmann der Partei in der ersten schwarz-grünen Koalition in Oberösterreich in einem „Standard“-Gastkommentar nach. Differenziert, aber doch arbeitete er ihr Leid auf.

Tatsächlich haben sich die Grünen unter Führung von Werner Kogler auf ein Regierungsprogramm verständigt mit der ÖVP, das bleibend zu ihrem Nachteil ist: Konkret, was das Beste aus der türkisen Welt betrifft, vergleichsweise vage bei den Teilen, die ihnen wichtig sind. Stichwort Ökosteuerreform, bei der wenige Wochen vor geplanter Fixierung noch immer fast alles offen ist.

Zu berücksichtigen sind natürlich die damaligen Umstände: Kogler hat 2019 eine außerparlamentarische Opposition ohne große Mittel, ohne viel Personal und ohne besondere Strukturen mit einem überraschend starken Wahlergebnis in den Nationalrat geführt. Die Partei war noch nicht einmal für den Einzug ebendort aufgestellt, da gab es schon Regierungsverhandlungen, auf die sie auch nicht annähernd vorbereitet sein konnte.

Zum anderen aber ist von Kogler und Co. ganz offensichtlich die Härte der ÖVP unterschätzt worden. Sebastian Kurz zieht mit seinen Leuten durch, was ihm wichtig ist. Und wenn der (Koalitions-)Partner dabei zugrunde zu gehen droht, nimmt er das unter Umständen auch in Kauf.

Schlimmer für die Grünen ist, dass ihre Spitze bis heute keine Antwort gefunden hat. Im Gegenteil: Im ORF-Sommergespräch, als Afghanistan bereits an die Taliban gefallen war, kam von Kogler kein Ja zur Aufnahme von gefährdeten Personen durch Österreich. Als Sebastian Kurz am vergangenen Wochenende nachlegte, unter seiner Kanzlerschaft werde man das nicht „freiwillig“ tun, kam von den Grünen wiederum bloß die Forderung nach einer Lösung auf europäischer Ebene – wobei man wohl wusste, wie unrealistisch eine solche ist.

Das kann man inhaltlich sehen, wie man will, ist aber die Aufgabe grüner Bekenntnisse zu „grundlegenden“, „universell gültigen“ Menschenrechten und zu Asyl für „bedrohte und verfolgte Menschen“, wie sie in ihrem Grundsatzprogramm verankert sind: Sie machen sich nicht einmal die Mühe, Widersprüche zur ÖVP klar und immer wieder neu zu betonen, um zumindest nicht vergessen zu machen, wofür sie stehen.

So hart die ÖVP im Geschäft ist, so wenig sind es die Grünen (mit Ausnahmen wie Verkehrsministerin Leonore Gewessler beim „Klimacheck“ für Straßenprojekte, die besonders auch Schwarz-Türkisen wichtig sind). Auf parlamentarischer Ebene herrscht bisweilen Distanzlosigkeit, die in Sigrid Maurers Anrede „Gust“ für ÖVP-Klubobmann August Wöginger zum Ausdruck kommt: Für eben jenen August Wöginger, der schon einmal wissen ließ, dass er Kinder, die die Grünen wählen, in seiner eigenen Familie nicht akzeptieren würde. Da wäre wohl eher ein respektvoll-distanziertes „Sie“ angemessener. Schon allein im Hinblick auf den Eindruck, den das bei den eigenen Anhängerinnen und Anhängern machen muss.

Und während Türkis also mit aller Kompromisslosigkeit absolut türkise Flüchtlingspolitik betreibt, nehmen die Grünen Rücksicht auf den Koalitionspartner, verhindern eine Verlängerung des Ibiza-U-Ausschusses. Abgesehen davon, dass das auch der engagierten Arbeit ihrer eigenen Leute ebendort nicht gerecht wird, kommt das der Aufgabe einer weiteren Sache gleich, für die die Grünen einst geworben haben: Kontrolle.

Glück im Unglück für die Grünen ist, dass sie unterm Strich trotz alledem nicht einmal groß verlieren müssen in der Wählergunst. Im Gegenteil: Umfragen zufolge kommen sie noch immer ihrem Nationalratswahlergebnis (13,9 Prozent) nahe. These: Sie profitieren von Bewegungen, mögen Sympathien verlieren, gewinnen aber auch welche dazu – weil sie sich selbst auf eine schwer definierbare Mitte hinbewegen und weil sie links der Mitte keine Konkurrenz haben, der zumindest noch Klimaschutz ein ernstzunehmendes Anliegen ist.

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